Als er vor drei Jahren in die Kinos kam, wurde der Film „wurde“Tár“ hochgelobt. Er handelt von einer Dirigentin in Berlin und keine Rezension und keine Beschreibung des Films kommt ohne den Hinweis aus, dass sich die Protagonisten Lydia Tár in einem „männerdominierten Beruf“ zu bewähren habe. Doch wer glaubt, bierbei handele es sich um einen Film, der die entsprechenden Widerstände thematisiert, der irrt. Der Zuschauer wird hier Glatteis geführt.
Denn in Wirklichkeit fehlt der Geschichte, die der Film erzählt, der zentrale Konflikt – jedenfalls über einen viel zu langen Zeitraum hinweg. Was der Zuschauer die ersten anderthalb Stunden zu sehen bekommt, ist eine Künstlerin, die etabliert ist, verehrt wird und sich in einer Machtposition befindet. Gleich zu Anfang sagt sie selbst, dass ihr Frau-Sein ihr keine Probleme bereitet habe und auch ihre Homosexualität, die sie offen vor Musikstundenten anspricht, ist im Film kein Hindernis für irgendetwas.
Kleinere Konflikte gibt es zwar – so will Lydia Tár ihren Kapellmeister loswerden und gibt es eine Missstimmung mit ihrer Lebensgefährtin –, aber keine davon treibt die Geschichte wirklich voran. Denn Lydia Tàr ist in einer unagefochteten Machtposition. Der zentrale Konflikt tritt erst zutage, als mehr als die Hälfte des Films bereits verstrichen ist. Da droht ein Schatten der Vergangenheit die Karriere der Lydia Tár zu zerstören. Nun gerät jedoch die gesamte Erzählstruktur des Films ins Rutschen.
Um die Geschichte zu Ende zu erzählen, ohne langatmig zu werden, muss es daher Schlag auf Schlag gehen. Und so komt es zu einem Stakkato kleinerer dramatischer Momente, dann folgt Szenenwechsel auf Szenenwechsel auf Szenwechsel, jedesmal von einem harten Schnitt unterbrochen, bevor abrupt der Abspann eingeblendet wird. Ende, Aus, der Zuschauer reibt sich die Augen. Was war das denn jetzt?
Die Person der Lydia Tár ist zweifelsohne faszinierend, die schauspielerischen Leistungen von Cate Blanchett und Nina Hoss sind herausragend, die Dialoge zuweilen kühn, aber der Film verspielt ein erhebliches Mass an Potential. Auch die Rolle der Cellistin Olga Metkina hätte weitergeführt werden und Anlass zu dramatischen Wendungen geben können, doch wurde diese Möglichkeit nur oberflächlich genutzt.
Letztlich scheitert der Film an seiner Struktur, wenn auch auf hohem Niveau. Er ist sehenswert, aber lässt den Zuschauer verwirrt zurück – und das ist durchaus kein Kompliment. Manch einer mag in der Schwäche des Films freilich einen raffinierten Kunstgriff sehen.