Ein Geheimnis um eine ägyptische Pyramide. Ein wahnsinniger Wissenschaftler, der mit einer Höllenmaschine die Weltherrschaft anstrebt. Eine Zeitmaschine, die verrückt spielt. Ein Krimineller, der mithilfe elektronischer Doppelgänger nach der Macht greift. Ein krankes Hirn, das eine Methode gefunden hat, Menschen zu willenlosen Sklaven zu machen.
Zugegeben, Edgar Pierre Jacobs war nicht originell, was die Themen seiner Comicserie “Blake und Mortimer” anbetrifft, denn diese kehren in der Comic- und Trivialliteratur ständig wieder. Was “Blake und Mortimer” dennoch zu einer einzigartigen Serie macht, ist die düstere Atmosphäre seiner Geschichten, wobei Jacobs das Potential der Ligne Claire maximal ausreizte.
Anders als bei Hergé sind bei ihm z.B. die Gesichter weitaus differenzierter (vor allem in den Alben “Die Diamantenaffäre” und “Die teuflische Falle”), hinzu kommt die typische Noir-Atmosphäre der 1940er und 50er, verbunden mit einem Moment des Phantastischen. Gerade im Zusammenspiel von Erzählung und Zeichenstil erwies sich Jacobs als Meister.
Ein besonderes Faible hatte E.P. Jacobs für Labyrinthe und komplexe Höhlensystem, die immer mehr bedeuteten als nur Orte, an denen man sich verlaufen konnte, sondern als Gegenwelten fungierten, denen nur entkommt, wer ihre Zeichen zu deuten vermag. Das raffinierteste Labyrinth findet sich im Band “S.O.S. Meteore”, das dort als Unwetterfront erscheint.
Mortimer und sein Taxifahrer folgen einem anderen Wagen, von dem sie im Schneegestöber nur die Rücklichter erkennen. Am Ende sind sie einer optischen Täuschung aufgesessen, das Taxi landet in einem Graben, Mortimer stürzt in den Überlauf eines Teiches und landet durchnässt und durchgefroren an einem Ufer, wo er sich an Land zieht, jedoch ohne Orientierung ist und nicht weiss, wohin der Taxifahrer verschwunden ist.
Als Mortimer am nächste Tag bei besserem Wetter die Ereignisse des Vortages zu rekonstruieren versucht, scheint nichts zusammenzupassen. Den Graben, aus dem die Polizei das Taxi zieht, hatte er steiler in Erinnerung und von dem Teich mitsamt Überlauf ist keine Spur mehr finden. Zudem enthält die Strecke mehrere scharfe Kurven, an die Mortimer sich hätte erinnern müssen. Erst ein Zufall hilft ihm, die Zeichen zu deuten, doch da ist es schon zu spät. Mortimer schwebt in Lebensgefahr.
“Blake und Mortimer” fortzuführen bedeutet eine enorme Herausforderung für die Zeichner und Szenaristen der Post-Jacobs-Ära und viele Alben dieser Ära, obwohl allesamt von hoher Qualität, reichen nicht an die Originale von Jacobs heran, der sehr hohe Standards gesetzt hat. Unter den Zeichnern der Post-Jacobs-Ära ragen Ted Benoît und Antoine Aubin heraus, bei denen sich am stärksten das E.P. Jacobs-Feeling einstellt.
Natürlich spricht nichts gegen eine behutsame Modernisierung der Reihe. Der eklatante Mangel an Frauen bei E.P. Jacobs musste dringend behoben werden. Ansonsten gibt es nicht viel zu erneuern. Man darf einem Klassiker nicht seine Seele nehmen.
In diesem Jahr jährt sich das Erscheinen des ersten Abenteuers zum 75. Mal. Mögen noch viele Abenteuer folgen!