Dass Ablasshandel für den mittelalterlichen Christen etwas durchaus vernünftiges war, jedenfalls angenehmer als eine ewige Furcht vor dem Zorn Gottes, wie Luther sie predigte, behauptet Alan Posener in der “Welt”, für den es deshalb auch keinen Grund gibt, das 500-jährige Jubiläum der Lutherschen Angriffe auf den Ablasshandel zu feiern, zumal darin auch nur Luthers Feindschaft gegenüber dem Handel im allgemeinen zum Ausdruck komme.

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Erstes Lutherbildnis

Schöner, weil mit ironischen Unterton, hat es allerdings Heinrich Heine ausgedrückt, als er den Katholizismus als eine Art von Konkordat beschrieb, und zwar eines zwischen Gott und dem Teufel. Der Ablasshandel war für Heine ein “kluges System von Zugeständnissen”, von der Kirche “zum Besten der Sinnlichkeit” ins Leben gerufen, um menschliche Triebe mit den Vorgaben der Religion zu versöhnen: “Du darfst den zärtlichen Neigungen des Herzens Gehör geben und ein schönes Mädchen umarmen, aber du musst eingestehn, dass es eine schändliche Sünde war, und für diese Sünde musst du Abbusse tun.‟ Das ganze Wesen des Katholizismus in einem Satz!

Menschliche Bedürfnisse auszuleben, ohne seinen Glauben verraten zu müssen – das hatte erst der Ablasshandel möglich gemacht. Dessen Systemcharakter hatte Luther unterschätzt. Der Ablasshandel, so Heine, war eben kein Missbrauch, sondern die zwingende Folge des ganzen Kirchensystems, das selbst natürlich auch davon profitierte. Heine konnte es sich nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass der aus aus den Geldern finanzierte Petersdom so etwas wie ein “Monument sinnlicher Lust” wurde, indem es die Sünde war, die das Gebäude finanzierte. (Ähnlich hat übrigens Umberto Eco das katholische Weltbild auf den Punkt gebracht, als er einmal schrieb, dass eine typisch katholische Einstellung folgendermassen charakterisiert sei: “Man weiss sehr wohl, was das Gute ist, man spricht davon und empfiehlt es; und zugleich akzeptiert man, dass das Leben anders ist, und hofft, Gott werde schliesslich vergeben.”)

Heine hatte aber nicht übersehen, dass derselbe Luther wohl auch entscheidend dazu beigetragen hatte, einer nicht zu unterschätzenden weltlichen Institution zum Durchbruch zu verhelfen: der Gedankenfreiheit. Indem Luther darauf pochte, dass seine Lehre nur durch die Bibel oder die Vernunft zu widerlegen sei, hatte er die einzigen Autoritäten benannt, die er als Richter in religiösen Angelegenheiten akzeptierte. Dadurch erst, so Heine in seiner Abhandlung “Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland” (1834/35), sei in Deutschland die Gedankenfreiheit möglich geworden, die auch die Philosophie beflügelt habe. Gerade in Preussen sei die Gedankenfreiheit grenzenlos gewesen.

Dass es möglicherweise wiederum Luthers Lehre war, die, wie Helmuth Plessner mehr als einhundert Jahre später urteilen sollte, eine Verwurzelung der Aufklärung in Deutschland verhindert hat, seitdem es mit Preussen gegen den Kaiser in Wien gross geworden war, ist eine andere Geschichte.

(Geringfügig sprachlich überarbeitet 24.7.2013.)

(Bild: Michael Kreutz, Lutherstadt Wittenberg, 2010)

Nachtrag 25.7.2013

Das Zitat von Umberto Eco stammt aus dem Buch Kunst und Schönheit im Mittelalter (München und Wien 1991), 188-9.