“Wahre Chilifans”, schreibt Amal Naj in seinem Buch “Scharfe Sachen”, “hegen nicht nur eine Vorliebe für scharfe Sachen – sie werden von einem regelrechten Verlangen getrieben. (…) Sie stöhnen wohlig ‘Ah!’, wenn sie in eine knackige Schote beissen. Und während sie noch schniefen und nach Luft ringen, verlangen sie schon nach mehr, damit die Wogen der süssen Qual nicht allzu rasch verebben.”
Das kann ich nur bestätigen. Nach Luft zu ringen, die brennende Schärfe auf der Zunge zu spüren und das Essen dabei zu geniessen – das ist mitnichten ein Widerspruch, zumal der Geschmack von den Schoten auch keineswegs übertüncht wird. Chili flutet die Sinne und macht selbst fades Essen zum Hit.
Tatsächlich lässt sich die Sucht nach dem Chili chemisch leicht erklären: Es ist das in der Frucht enthaltene Capsaicin, das dem Gehirn den Eindruck vermittelt, die Zunge würde verbrennen, wie durch Feuer oder Säure, wodurch der Organismus Endorphine ausschüttet, eine Art körpereigenes Schmerzmittel. Je schärfer das Chili wirkt, desto stärker die Ausschüttung von Endorphinen.
Vergessen Sie die daher Jalapeños! Viel schärfer sind Habañeros, die ganz oben in der Taxonomie der scharfen Pfefferschoten stehen. Bei Zubereitung und Genuss sollte man aber ein paar Dinge beachten. Das Zeugt steigt einem nämlich leicht in die Nase und sobald man einen Niesreiz verspürt, schluckt man es am besten schnell hinunter oder spuckt es aus, anderenfalls zieht man es in die Luftröhre, was sehr unangenehm werden kann und einen für einige Minuten in Agonie versetzt.
Vor der Zubereitung sollte man die Schoten unter kaltem Wasser abspülen, wobei die Betonung auf “kalt” liegt. Warmes Wasser nämlich löst die scharfen Bestandteile aus dem Fruchtfleisch und das kann ebenfalls sehr unangenehm werden. Das gilt auch für Schoten, die in der prallen Sonne gelegen haben, bevor man sie zubereitet. Mir ist das einmal vor Jahren passiert. Danach haben meine Hände dermassen gebrannt, dass ich mehrere Stunden immer wieder meine Hände kühlen musste, um den pochenden Schmerz zu lindern.
Ich schnappte nach Luft. Um meinen Kreislauf zu stabilisieren und einen Kollaps zu vermeiden, bin ich dann vier Mal um den Häuserblock gehechtet. Danach ging es mir besser. Merke: Diese Habañeros sind nicht ohne! Zur Vorsicht verwende ich seitdem nur Handschuhe bei der Zubereitung. Aber selbst damit wasche ich die Schoten nur kalt ab, weil bei warmem Wasser die Schärfe durch die Plastikhandschuhe dringt.
Wer Habañeros kaufen will, wird nur in wenigen Läden fündig. In arabischen oder türkischen Supermärkten sind sie nicht zu finden, in deutschen nur selten und wenn, dann abgepackt in geringer Menge für teures Geld, während man für denselben Betrag beim Inder oder Afrikaner einen ganzen Beutel bekommt. (“Pass auf dich auf und viel Spass mit scharf!”, pflegt mein indischer Chili-Dealer zum Abschied zu sagen.) Man kann die Dinger auch selbst züchten, aber meine Erfahrung ist da weniger gut, seitdem ein Schädling meine Pflanze vernichtet hat.
Dieses kulinarische Wunder der Habañeros jedenfalls haben wir den Mayas zu verdanken, die sie schon vor achttausend Jahren im Gebiet des heutigen Mexiko konsumiert haben, und natürlich Kolumbus, der die wunderbare Schote in die Alte Welt brachte, von wo aus sie sich über die ganze Erde verbreitete und vor allen in Teilen Asiens und Afrikas fester Bestandteil der Küche wurde. Ich selber, obwohl ich schon seit meiner Jugendzeit sehr scharf esse, habe die Freuden des Chili so richtig erst vor fünfzehn Jahren durch einen kamerunischen Freund kennengelernt.
Er findet das bis heute amüsant, dass ich als Nichtafrikaner jeden Tag Chilis esse und bittet mich mit schönster Regelmässigkeit, wenn Afrikaner zugegen sind, ihnen davon zu berichten, wie ich sie zubereite und esse (also die Chilis, nicht die Afrikaner). Hier, schaut her, ein Deutscher, ein Weisser, der isst wie ein Afrikaner, haha.
Ich könnte an dieser Stelle nun weit ausholen und etwas über die Segnungen von Globalisierung und Proto-Globalisierung am Beispiel der Habañeros erzählen, aber hebe mir das für ein anderes Mal auf und präsentiere stattdessen mein Geheimrezept mit präzisen Mengenangaben für alle, die noch nicht auf den Geschmack gekommen sind. Das Ergebnis eignet sich für alle Arten von Fleisch und Fisch und selbst als Dip:
1 – Man nehme eine beliebige Anzahl von Schoten, wasche sie unter kaltem Wasser und schneide Strunk und Stiele ab. (Ich schneide die Dinger ausserdem auf, um eventuell faulige Stellen auszumachen, aber auch um sicherzugehen, dass keine Raupe im Inneren ist, wie ich es vor Jahren einmal erlebt habe.)
2 – Dann gebe man eine Knoblauchzehe hinzu …
3 – … und nach Gefühl jede Menge fette Brühe oder Delikatessbrühe.
4 – Anschliessend wird das ganze ordentlich mit Sonnenblumenöl übergossen …
5 – … und in der Maschine püriert.
Fertig! Das Ergebnis ist die pure Lust, lässt einen schniefen und nach Luft ringen und nie mehr los.
In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern: Scharfe Ostern!
Nachtrag 24. April 2020
Lehrreich und unterhaltsam: Einer China-Vloggerin zuzusehen, wie sie scharfes Chili-Öl zubereitet und zeigt, wie man es in der chinesischen Küche benutzt. (NB: Auf ihrem T-Shirt steht 老外 lǎo wài, zu Dt. “Ausländerin”.)
Nachtrag 15. Juli 2021
Der Schriftsteller Claude Cueni hat ein kleines Lob auf den Chili verfasst.