Wer Darwins Evolutionstheorie in anzweifelt, ist nicht unbedingt Anhänger eines christlich begründeten “intelligent design”.Der österreichische Schriftsteller Egon Friedell (1878-1939) hat versucht, die Entstehung der Arten gegen Darwin zu erklären, ohne sicb auf die Religion zu berufen.
In seiner fulminaneten “Kulturgeschichte der Neuzeit” (1927-31), ursprünglich auf drei Bände angelegt, in der heutigen Gesamtausgabe auf knapp 1600 Seiten kommend, verknüpft sein Autor auf geistreiche Weise die unterschiedlichsten Wissensgebiete miteinander.
Friedell glaubte jedoch im Gegensatz zu Darwin, dass die Natur Sprünge mache und darin kulturellen Erscheinungen in der Geschichte ähnlich sei. Freilich führt er die Lehre von der sprungweise erfolgenden Variation nicht weiter aus, doch fragt sich, ob Friedell Darwin überhaupt richtig verstanden hat.
Ein Artikel im Wissensmagazin “Aeon” beschreibt den Stand der Evolutionsforschung und geht dabei in eine ähnliche Richtung wie Friedell, wenn er von “daptive genome reconfiguration” oder “rapid genome reorganisation” spricht, will, anders als jener, jedoch Darwin gegen die, wie er sie nennt, Neo-Darwinisten verteidigen, die dessen Lehre unzureichend rezipieren.
Hatte Friedell nun recht? Das ist nicht eigentlich die Frage, aber die Thematik bietet einen guten Anlass, noch einmal über Friedells Theorie von der Kulturentwicklung zu meditieren und an das ungebrochen aktuelle Gesamtwerk eines Mannes zu erinnern, der auf der Flucht vor den Nazis ums Leben kam.