Ein interessanter Beitrag von Ufuk Özbe widmet sich der Frage, inwieweit die Evolutionstheorie mit dem Glauben an Gott vereinbar ist. Der Artikel enthält viel richtiges und plausibles, aber das zentrale Argument, eine Kontingenz der Evolution mache die Annahme eines Schöpfergottes wenig plausibel, überzeugt nicht – und zwar unabhängig davon, ob man selbst an Gott glaubt oder nicht.
Zwar gab es im Christentum während des Mittelalters die Vorstellung, dass die Naturgesetze eine Gewohnheit Gottes seien, was implizierte, dass die Bewegung von Objekten, die der Mensch wahrzunehmen glaubt, in Wahrheit auf göttliches Wirken zurückgehe, indem die Atome des Objektes neu erschaffen werden. Dieses magische Weltbild, das man im Westen als Okkasionalismus kennt, ist freilich ausserstande, eine konsequente Ethik aktiver Weltbeherrschung zu entwickeln.
Eine solche Ethik setzt, um eine Formulierung von Max Weber zu gebrauchen, eine “Entzauberung der Welt” voraus. Der Mensch muss erst zur Einsicht gelangen, dass er die Naturgesetze erkennen und für sich verwenden kann, um die Welt um ihrer selbst willen zu verändern. Genau diese Auffassung hat sich im christlichen Kontext durchgesetzt, wenngleich teilweise im Gegensatz zum Christentum. Der Prozess begann mit dem Aufstieg der puritanischen Ethik ein (wenn wir Webers Argumentation folgen) und wurde von der Aufklärung weitergeführt.
Im islamischen Kontext dagegen hat eine solche Entzauberung bestenfalls ansatzweise stattgefunden. Der koranische Schöpfergott nämlich, und das ist das eigentliche Problem, wird im Koran als ein niemals ruhender beschrieben, was auch die Zeitvorstellung nicht unberührt lässt, wie J. van Ess betont. Was das für die Evolutionslehre bedeutet, mag jeder für sich schlussfolgern. Tilman Nagel wiederum hat gezeigt, wie im Koran ein Selbstverständnis des Islam als einer Religion zum Ausdruck kommt, die das Dasein des Menschen durch seine Schöpfertätigkeit umfassend beherrscht.
Daher sind magische Vorstellungen im Islam, mögen sie auch mit der Orthodoxie nicht immer vereinbar sein, sehr lebendig geblieben. Deren Auswüchse werde gerade im Volksislam sichtbar, wie Annemarie Schimmel ihn beschrieben hat. Demnach trägt der ganze Körper Segen (baraka) in sich, wobei dem Haar eine besondere Rolle zukommt. Über den Bart heisst es, er sei „Gottes Licht“ und selbst der Speichel besitzt baraka, vor allem, wenn ihn ein Heiliger in die Speise spuckt. In Ägypten singen maulid-Sänger von dem „erlaubten Wein des Speichels des Propheten“, wie es in der arabischen Welt auch einen Kult um die Sandale des Propheten gibt. Bei all diesen Verehrungen geht es immer um etwas Höheres, nämlich „den Wunsch, sich vor der Macht zu erniedrigen, die auch am niedersten Teil des Körpers vorhanden ist“ (Schimmel).
Zudem hat in der orthodoxen Theologie, nicht zuletzt durch aš-Šāfʿīs Abschaffung des raʾy (persönliche Ratio) als Mittel der Gesetzesauslegung, ein „allmähliches, aber kontinuierliches Einschränken des Spielraums der Vernunft“ (J. Chr. Bürgel) stattgefunden. Dass die Evolutionstheorie im islamischen Kontext daher auf wenig fruchtbaren Boden fällt, leuchtet unmittelbar ein. Demgegenüber ist das Christentum, ungeachtet mittelalterlicher Vorstellungen wie des Okkasionalismus, mit weitaus weniger Konfliktpotential belastet.
So hat der christliche Philosoph Johannes Philoponos schon im 6. Jahrhundert n. Chr. die christliche Schöpfungslehre dahingehend gedeutet, dass ein transzendenter Schöpfergott die Welt wohl erschaffen, sie dann aber ihren immanenten Gesetzen überlassen habe. Der Wissenschaftshistoriker Hans Daiber hat darin eine sich abzeichnende Trennung von Naturwissenschaft und Theologie verortet, die im Islam noch keine Akzeptanz fand. Vor allem ist eine solche Auffassung wie die von Johannes aber ohne weiteres mit der Evolutionslehre vereinbar.
Jenseits einer wissenschaftlichen Debatte über die Evolutionslehre, die naürlich ihre Berechtigung hat, lässt sich festhalten, dass es zwar auch heute noch viele Christen in unterschiedlichen Teilen der Welt gibt, vor allem in den USA, die die Vorstellung von einer Evolution der Lebewesen aus religiösen Gründen ablehnen oder mit ihr hadern. Sie stehen damit aber zum Teil im Gegensatz zu ihrer Amtskirche. Hauptsächlich im islamischen Kontext hingegen ist es der Fall, dass die Evolutionslehre überdurchschnittlich wenig Zuspruch findet, was Atheisten gerne verkennen, da sie dazu neigen, undifferenziert von “Religion” zu sprechen, wo es doch darauf ankäme, gerade die Unterschiede zwischen den Gottesbildern in den Blick zu nehmen.