Writing East and West

Category: Religion und Gesellschaft Page 1 of 2

Beitrag auf “Cicero Online”

Manch einer unterschätzt, wie gross die Kräfte der Beharrung in den muslimischen Gesellschaften doch sind. Für “Cicero Online” habe ich das Problem einmal knapp umrissen. Unter dem Titel “Die Reislamisierung von unten” finden Sie meinen Beitrag barrierefrei unter diesem Link.

Auszug: “Seit dem Untergang des rationalistischen Islam haben wir es in den muslimischen Ländern mit einer Gemengelage von Religion und Politik zu tun. Dass die Scharia von einem sehr weltlichen Charakter ist und Vorschriften zum Familien-, Vertrags- und Verwaltungsrecht umfasst, lässt die Sphären der Religion und der Politik nur noch weiter verschwimmen.”


Nachtrag 18. August 2020

Vorgestern, am Sonntag, hat Mouhanad Khorchide mit einer Replik reagiert, die unter dem Titel “Top-down oder Bottom-up?” ebenfalls auf “Cicero Online” erschienen ist.

Nicht, dass ich inhaltlich einverstanden wäre, aber ich schätze es doch überaus, dass Mouhanad Khorchide sich der Debatte stellt und nicht, wie so viele, die ich an der Uni kennengelernt habe, andere Meinungen einfach ignoriert.

Woher der muslimische Antisemitismus kommt

Na, das kann ja was werden, dachte ich. Diskursanalyse nach Siegried Jäger? Das ist eine von diesen neomarxistischen Theorien, die an den Universitäten schon genug Unheil angerichtet haben. Jäger glaubt, dass wir, weil die der Wirklichkeit keine Wahrheiten entnehmen können, sondern sie immer nur auf der Grundlage unseres eigenen Wissens deuten, Wissenschaft „immer schon politisch‟ sei. Kein guter Start.

Dennoch ist die Abschlussdokumentation des Projekts „Extreme Out‟ eine respektable Leistung geworden. Erkennt man meist schon an der Literaturliste, wo die Verfasser politisch stehen, so ist dies hier nicht der Fall. Vielmehr greifen die Autoren ganz unterschiedliche Standpunkte auf und vermeiden die Nähe zu einem bestimmten politischen Lager.

Warum in den Medien der Mythos umhergeht, die Autoren würden den muslimischen Antisemitismus als direkte Folge der Diskriminierungserfahrungen von Muslimen deuten, bleibt mir ein Rätsel. Selbst die renommierte „Jüdische Allgemeine‟ verbreitet diesen Unsinn. Tatsächlich heisst es in der Dokumentation:

“Viele Jugendliche rechtfertigen ihre antisemitischen und menschenfeindlichen Einstellungen dadurch, das sie durch die zunehmende Islamfeindlichkeit selbst abgewertet und diskriminiert werden.”

“Extrme Out”, S. 151

Hier wird also eine Einstellung unter muslimischen Jugendlichen wiedergegeben und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Autoren der Dokumentation sie sich zu eigen machen. Vielmehr schreiben sie von Sündenbockfunktion und Opferneid, die hier zum Ausdruck kommen. Das ist plausibel und meilenweit davon entfernt, den Antisemitismus unter Muslimen als alleinige Folge von Ausgrenzungserfahrungen zu deuten.

Das heisst nicht, dass man an der Dokumentation nicht einiges kritisieren könnte. Die Autoren gehen zwar der Frage nach, welchen Judenbild Koran und Sunna haben, verpassen es jedoch, auch die Prophetenvita (Sira) unter die Lupe zu nehmen. Massgeblich zu nennen ist hier die Forschung von Maghen (2006), der gezeigt hat, dass das Judentum dort wie auch in anderen klassischen muslimischen Texten als Anti-Religion par excellence dargestellt wird.

Maghen, das sei an dieser Stelle betont, zeichnet dabei keineswegs ein düsteres Bild vom Islam, sondern macht deutlich, dass das Judentum vor allem als Kontrastfolie für einen Islam herangezogen wurde, der den Anspruch hatte, in Hinblick auf die religiösen Vorschriften des Gläubigen weniger streng zu sein. Das Judentum der Sira und anderer frühen Texte ist also nicht mit dem realen Judentum zu verwechseln. Irgendeine Art von eliminatorischem Judenhass findet sich dort nicht.

Dieser ist ein später Import aus Europa, da haben die Autoren der Dokumentation recht. Allerdings ist die Benutzung des Judentums als Kontrastfolie für den Islam auch nicht unbedingt geeignet, ein unvoreingenommenes Bild von den Juden der damaligen Zeit zu entwickeln. Auch wenn es in der islamischen Welt keine solche Diskrimierungen und Übergriffe gegen Juden gegeben hat wie in Europa, so haben die Autoren der Dokumentation fraglos recht, wenn sie (wenngleich lediglich auf Koran und Sunna gemünzt) konstatieren, dass „sich für antisemitische Diskursstränge Anknüpfungsmöglichkeiten‟ bieten.

Der Aufsatz von Reinkowski (2011), in dem der Autor den Ursprüngen moderner antisemitischer Verschwörungstheorien iim Osmanischen Reich nachgeht, wie auch der Frage, warum derlei noch heute so populär ist, blieb allerdings in der Dokumentation unberücksichtigt. Einiges davon kann man auch im Kapitel “Die grosse Verschwörung” (Kreutz 2013) nachlesen: Vor allem im griechischsprachen Teil des Osmanischen Reiches waren Juden Schikanen ausgesetzt gewesen und mussten Übergriffe durch ihre christlichen Nachbarn fürchten.

An anderer Stelle zitieren die Autoren Bernard Lewis, wonach die islamischen Geschichte immer wieder “Perioden strikter, militanter Orthodoxie” erlebt habe. Lewis steht mit dieser These nicht alleine da, aber es gibt jemanden, der sie noch besser begründet hat, nämlich Ira M. Lapidus (1992), einer der besten Kenner der muslimischen Sozialgeschichte. Dass der Koran vielfach die Neigung aufweist, „die Welt eher hinzunehmen und zu modifizieren als sie radikal herauszufordern und zu verwandeln“ (Lapidus) steht im engen Zusammenhang mit dem Auftreten solcher, von Lewis beschriebenen Perioden. Lapidus selbst hat die islamistischen Bewegungen der Gegenwart als Teil eines grossen Kontinuums gesehen und nicht als etwas, das erst im frühen 20. Jahrhundert seinen Anfang genommen hat.

Das gilt auch für manche Aspekte des muslimischen Verhältnisses den Juden gegenüber. Das erste bekannte Edikt, das Juden verpflichtete, gelbe Kleidung zu tragen, wurde immerhin schon 849 verkündet (Goitein 1974, Schimmel 1995). Schon früh kam auch das Gerücht auf, die Schia sei die Gründung eines Juden namens ʿAbdallāh b. Sabaʾ. Wir finden diese Behauptung z.B. bei Ibn Taymiyya (14. Jhd.), für den die Schia überhaupt nur eine Mischung aus Judentum, Christentum und ġulūw (Übertreibung, vgl. Q 4:71, 5:77) ist – letzteres ein Begriff, der auch synonym für die Schia insgesamt benutzt wird (Friedman 2010). Die Juden als Spalter lässt sich als Motiv also schon lange vor irgendeinem europäischen Einfluss nachweisen.

Ironischerweise nehmen die Juden, ebenfalls negativ konnotiert, einen festen Bestandteil in der schiitischen Eschatologie ein. Nicht nur ist das Erscheinen des Mahdī, des „Rechtgeleiteten‟ und Wiederherstellers der Religion vor dem Jüngsten Gericht, an den Kampf um Jerusalem geknüpft. (Ourghi 2008) Auch der Daǧǧāl, der apokalyptische Gegenspieler des Mahdī, wird meist als einäugiger Jude von groteskem Aussehen beschrieben. (McCants 2015) Das erinnert schon sehr an modernen europäischen Antisemitismus.

Natürlich liesse sich noch weitere Literatur nennen und klar ist auch, dass soviel Fachliteratur zur islamischen Geschichte, zum Thema Islam und Minderheiten sowie Islam und Extremismus existiert, dass ein einzelner sie schon längst nicht mehr überschauen kann. Dennoch hätte hier etwas gründlicher recherchiert werden können. Ankreiden kann man auch, das Koranzitat vom nicht vorhandenen Zwang in der Religion aus dem Zusammenhang gerissen zu haben.

Letztlich aber man muss die Autoren dennoch dafür loben, dass sie sich um eine ideologiefreie Herangehensweise an ein politisch stark aufgeladenes Thema bemüht haben.


Literatur

Yaron Friedman. 2010. The Nuṣayrī-ʿAlawīs: An Introduction to the Religion, History and Identity of the Leading Minority in Syria. Leiden und Boston.

Shlomo D. Goitein. 1974. Jews and Arabs: Their Contacts Through the Ages. New York.

Michael Kreutz. 2013. Das Ende des levantinischen Zeitalters: Europa und die Östliche Mittelmeerwelt, 1821-1939. Hamburg.

Ira M. Lapidus. 1992. „Islamisches Sektierertum und das Rekonstruktions- und Umgestaltungspotential der islamischen Kultur“, in: Kulturen der Achsenzeit, Bd. II: Ihre institutionelle und kulturelle Dynamik, Teil 3: Buddhismus, Islam, Altägypten, westliche Kultur, hrsg. von Shmuel N. Eisenstadt. Frankfurt/Main, 161-88.

Ze’ev Maghen. 2006. After Hardship Cometh Ease: The Jews as Backdrop for Muslim Moderation. Berlin und New York.

William McCants. 2015. The ISIS Apocalypse: The History, Strategy, and Doomsday Vision of the Islamic State. New York.

Mariella Ourghi. 2008. Schiitischer Messianismus und Mahdī-Glaube in der Neuzeit. Würzburg.

Maurus Reinkowski. 2011. „Zionismus, Palästina und Osmanisches Reich: Eine Fallstudie zu Verschwörungstheorien im Nahen Osten‟, in: Judaism, Christianity and Islam in the Course of History: Exchange and Conflicts, hrsg. von Lothar Gall und Dietmar Willoweit. München, S. 93-104.

Annemarie Schimmel. 1995. Die Zeichen Gottes: Die religiöse Welt des Islams. München.

Islamapologetik, hier und dort

Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, ein Buch über hartnäckige Falschbehauptungen über den Islam zu schreiben. Nicht, dass ich den Anspruch hätte, den wahren Islam zu kennen oder alles über den Islam zu wissen, doch lassen sich in der öffentlichen Debatte über den Islam Behauptungen ausfindig machen, die einfach nicht haltbar sind.

Eine dieser Falschbehauptungen ist die, dass so viele Islame wie Muslime existierten, dass also Aussagen über den Islam unmöglich seien, weil es “den” Islam gar nicht gebe. Die Intention hinter dieser Behauptung ist allzu deutlich: Der Islam (den es nicht gibt), soll gegen jede Kritik abgeschirmt werden, die dann als Essentialismus geschmäht und mit dem Diskursausschluss geahndet wird.

Dies ist aus drei Gründen falsch.

Erstens gibt es das in keiner Religion, dass die Anzahl ihrer Deutungen der Anzahl ihrer Glaubensmitglieder entspricht. Vielmehr haben wir es meist mit mehreren Konfessionen zu tun, in denen es dann noch einmal konkurrierende Strömungen gibt. Im Christentum sind das Katholizismus, Protestantismus und Orthodoxie, die ihrerseits meist in eine konservative und eine progressive Strömung gespalten sind. Ähnlich ist es im Judentum, dass sich im wesentlichen in orthodoxes, konservatives und Reformjudentum aufspaltet, innerhalb derer es dann noch Unterformen geben mag.

Auch im Islam ist das so. Hier haben wir es im grossen und ganzen mit einem sunnitischen und einem schiitischen Islam zu tun, wobei etwa 85% der Muslime weltweit dem Sunnitentum zugehören. Eine gibt eine gewisse Bandbreite innerhalb des sunnitischen Islam, doch darf man nicht übersehen, dass alle Offenbarungsreligionen eine formative Phase durchgemacht haben, in der theologisch die Spreu vom Weizen getrennt wurde. Denn jede Religionsgemeinschaft ist genau dies: Gemeinschaft. Als solche steht sie einer vollständigen Individualisierung (nicht zu verwechseln mit Verinnerlichung) entgegen.

Muslimische Juristen haben auf Grundlage der Offenbarung eine Systematik erstellt, die Willkür in der Exegese vermeiden sollte. Somit ist eine Tradition des Rechtswesens entstanden, innerhalb derer der Spielraum für exegetische Abenteuer recht stark eingeschränkt ist. Natürlich kann man sich über die Tradition hinwegsetzen und den Koran frei interpretieren, aber auch hierbei sollte man sich im Klaren darüber sein, dass es “Grenzen der Interpretation” (so der Titel eines Buches von Umberto Eco) gibt. Der Koran mag manchen Deutungsspielraum erlauben, aber wie andere Texte auch lässt sich in ihn nicht alles hineinlesen, will man Inkohärenz nach Möglichkeit vermeiden.

Zweitens müssten alle “Islame” etwas gemeinsam haben, um unter einem Begriff zu firmieren. In dieser Schnittmenge würden sich sicherlich die beiden Maximen der Schadaha wiederfinden und mindestens der Bezug auf die Offenbarung. D.h. selbst wenn es so viele Islame wie Muslime gäbe, dürften die Gemeinsamkeiten in den meisten Fällen grösser sein als die Unterschiede. (Nur am Rande: Im Arabischen heisst es al-Islām “der Islam”. Wie hiesse eigentlich “Islame” auf Arabisch: asālīm? islāmāt?)

Drittens, und das ist der wichtigste Einwand, dürfte nur eine Minderheit der Muslime selbst glauben, dass es eine Vielzahl von “Islamen” geben soll. Dazu muss man wissen, dass Islamapologetik in einem westlichen Land wie Deutschland tendentiell anders funktioniert als in mehrheitlich muslimischen Ländern. Wenn hierzulande jemand etwas Positives über Angehörige anderer Konfessionen sagen will, dann tut er dies meist mit einem Verweis auf den Reichtum, der in der Vielfalt steckt. Anders in muslimischen Ländern: Will ein Muslim etwas Positives über Christen oder über Europäer sagen, dann wird er mit Sicherheit das Einssein betonen. “Wir sind doch eins” heisst es dann, oder: “Zwischen uns gibt es keinen Unterschied.”

Da in unserer Kultur Vielfalt und Pluralismus positiv konnotiert sind, neigen hierzulande sozialisierte Muslime dazu, dem Islam Vielfalt und Pluralismus als zentrale Eigenschaften zuzusprechen. Daher hören wir immer wieder die Behauptung, “den” Islam gebe es doch gar nicht, dies sei doch nur Essentialismus, dem Islamkritiker wie Islamisten gleichermassen aufsässen. Tendentiell anders dagegen argumentieren Muslime, die in einem muslimischen Land sozialisiert wurden. Da in muslimischen Ländern Pluralismus und Vielfalt eher negativ konnotiert sind, weil beide Begriffe mit Spaltung und Schwächung in Verbindung gebracht werden, wird die Vorstellung, dass es mehr als einen Islam geben könnte, meist deutlich zurückgewiesen. Hierzu zwei Beispiele:

In meinem Bekanntenkreis gibt es einen türkischen Muslim, den ich aus Studientagen kenne. Er ist in der Türkei geboren und aufgewachsen und kam als Erwachsener zum Studium nach Deutschland. Deutsch beherrscht er fliessend, aber es ist nicht seine Muttersprache. Heute arbeitet er als Islamlehrer in Deutschland. Dieser Mensch sagte mir vor einigen Jahren einmal: “Für euch Westler gibt es einen liberalen Islam, einen konservativen Islam, einen fundamentalistischen Islam usw. – aber für uns Muslime gibt es das alles nicht. Für uns gibt es nur Islam!”

Während also für die einen, meist europäisch sozialisierten Muslime, das typisch westliche Vorurteil in der Behauptung besteht, es gebe so etwas wie “den” Islam, besteht für die anderen, meist orientalisch sozialisierten Muslimen, das typisch westliche Vorurteil in dem Glauben, es gebe mehr als einen Islam! Je nachdem, mit welchen Muslimen man es zu tun hat, kann man als Westler dem Vorwurf, Vorurteile gegen den Islam zu hegen, praktisch nicht entkommen.

Beispiel zwei ist Ahmad at-Tayyeb, seines Zeichens Grossscheich der ägyptischen Azhar. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass at-Tayyeb auf Einladung des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert vor zwei Jahren zu Gast im deutschen Bundestag war. Damals durften nach seinem Vortrag auch Fragen aus dem Publikum gestellt werden und so hatte einer der Fragesteller wissen wollen, wie es um das Projekt eines europäischen Islam bestellt sei.

Grossscheich at-Tayyeb gab eine bemerkenswerte Antwort: Einen europäischen Islam könne es nicht geben und mache keinen Sinn, da der Islam auf ganz einfachen Prinzipien beruhe, die überall auf der Welt gleich seien und folglich auch in China sogar auf dem Mond. Ergo: Es gibt nur einen, nur “den” Islam.

Ahmad at-Tayyeb spricht natürlich nicht für alle Muslime und noch nicht einmal für alle Sunniten, aber er spricht sicherlich für sehr viele Muslime. Er muss noch nicht einmal recht haben, denn natürlich gibt es mindestens eine Zweiteilung in einen sunnitischen und einen schiitischen Islam, aber der Punkt ist: In seiner Weigerung, die Existenz unterschiedlicher Varianten der eigenen Religion anzuerkennen, steht er nicht als Exot da. Es ist einfach das, was die Gläubigen mehrheitlich in muslimischen Ländern glauben dürften.

Wer also behauptet, es gebe “den” Islam gar nicht, mag damit zwar recht haben, doch folgt daraus weder, dass es so viele Islame wie Muslime gibt, noch, dass eine Mehrheit der Muslime diese Meinung teilt. Daran, dass es nur einen, nur “den” Islam gibt, glauben bei weitem nicht nur Islamisten und Islamkritiker.


Nachtrag, 6. November 2018

Auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, bekennt sich auf Twitter zu der Auffassung, dass es “nur einen” Islam gebe.  

Religionssoziologie auf Abwegen

Max Weber wollte verstehen, warum unterschiedliche Zivilisationen unterschiedliche Entwicklungspfade eingeschlagen haben und warum das, was wir „Moderne‟ nennen, eine Erfindung des Abendlandes ist. Einer der zentralen Begriffe in diesem Zusammenhang ist der der „Entzauberung‟, den der Soziologe Hans Joas in seinem Buch Die Macht des Heiligen einer gründlichen Kritik unterzieht. Darin will Joas einerseits den Weberschen Ansatz überwinden, Weber andererseits neu deuten.

Woher kommt die Krise des Islam?

Die islamische Welt befindet sich in keinem guten Zustand. Warum das so ist, darüber hat sich schon mancher den Kopf zerbrochen. Der Religionswissenschaftler Michael Blume drängt in seinem Buch Islam in der Krise mit eigenen Thesen auf den Büchermarkt, die zwar nicht ganz zu überzeugen vermögen, sein Buch aber auch so zu einer durchaus angenehmen Lektüre machen.

Mythos Wüstenreligion

Ich urteile grundsätzlich nicht über Bücher, die ich nicht gelesen habe. Aber hier weckt allein der Titel Zweifel an der Kompetenz des Autors: „Mohammed – Revolution aus der Wüste‟ heisst das Buch, verfasst von einem niederländischen Wissenschaftsjournalisten namens Marcel Hulspas.

Islam, Zivilgesellschaft und Reformation

Kürzlich war ich auf zwei Tagungen des Muslimischen Forums Deutschland (MFD), eine in Bad Honnef und eine in Hamburg, die in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und im ersten Falle auch noch mit der Evangelischen Kirche in Rheinland stattfanden. Dabei ging es um den Islam, die Zivilgesellschaft und die Reformation und was mir sehr angenehm auffiel, war, dass dort fast nur Leute, sowohl unter den Referenten als auch im Publikum, zugegen waren, mit denen man ohne die üblichen ideologischen Scheuklappen, wie man sie aus dem universitären Milieu kennt, kritisch über den Islam diskutieren konnte.

Gerade an den Universitäten nämlich hat sich eine Atmosphäre der Intoleranz breitgemacht, die jeden Ansatz einer kritischen Betrachtung des Islam als anstössig verwirft. Stattdessen herrscht die grosse Gleichmacherei: Entweder sind alle Religionen gleichermassen gewaltaffin oder gar keine Religion, sind alle gleichermassen modern oder gleichermassen reformbedürftig – sobald es um eine globale Betrachtung geht, wird Differenzierung wenig goutiert. Es spricht für das MFD, dass von den Verantwortlichen eine kritische Herangehensweise an den Islam nicht verurteilt wird, sondern geradezu erwünscht ist, solange dies mit aufklärerischer Intention geschieht und nicht einer Diffamierung des Islam Vorschub leistet.

Auf beiden Tagungen bildeten Muslime übrigens mindestens die Hälfte der Anwesenden und auch wenn deren Zahl recht klein war (nicht mehr als dreissig), so wurde doch einmal mehr deutlich, dass es fortschrittliche Kräfte in der muslimischen Community gibt, die die ewige Islamapologetik satt und vielmehr begriffen haben, dass selbst eine prononcierte Kritik am Islam nicht zu dessen Untergang führt, sondern eine Herausforderung darstellt, an der die Community wachsen kann.

Immerhin gibt es schon längst eine umfassende Kritik am Christentum und keineswegs nur an dem, was die Kirche oft in dessen Namen angerichtet hat, sondern an seinen Grundlagen, nicht zuletzt an der Offenbarung selbst. Da kann es kein Skandal sein, auch den Islam einer solchen Kritik zu unterziehen, denn darin ist Hannah Arendt rechtzugeben: Ein Charakteristikum der Moderne liegt in der Bereitschaft, Religionskritik zu üben und für legitim zu erachten (vgl. mein Buch Zwischen Religion und Politik, S. 67). In dieser Hinsicht waren die beiden Tagungen in Bad Honnef und Hamburg wirklich ein Genuss und da kann man nur sagen: Bitte mehr davon!

Hier geht’s zu den Pressemitteilungen:

http://www.ev-akademie-rheinland.de/Pressemitteilung-Solidargemeinschaft-Muslime-401.php

http://www.kas.de/hamburg/de/publications/48752/

 

Weltbeziehungen

Religionen befassen sich nicht nur mit transzendenten Dingen, mit Ethik und Ritualen, sondern bringen in diesen Dingen wie auch darüberhinaus ein jeweils spezifisches Verhältnis zur Welt voraus, die ihrerseits dem Wandel der Zeit unterliegt.

Damit werden die Religionen relevant für die Politik und in diesem Spannungsfeld zwischen Religion und Politik entsteht das, was wir die Moderne nennen. Dieser Prozess ist kein stetig forschreitender, sondern unterliegt Rückschlägen sowie gegenseitigen Beeinflussungen und Irritationen. Das ist Thema meines Buches Zwischen Religion und Politik, wie es in der Beschreibung heisst:

Die Moderne zeichnet sich ab, als der Himmel aufhört, Projektionsfläche menschlicher Heilserwartung zu sein und sich die kulturelle Wahrnehmung auf das „kosmisch Unerhebliche‟ (Hans Blumenberg) verschiebt. […] Politisch findet die Moderne ihren Ausdruck im liberalen Konstitutionalismus und steht in einem ambivalenten Verhältnis zu den Religionen, die selbst ein spezifisches Verhältnis zur Welt entwickelt haben.

Vor diesem Hintergrund erscheint es erfreulich, dass dieser Tage die Universitäten Erfurt und Graz ein Graduiertenkolleg zum Thema “Weltbeziehungen” initiiert haben, die sich genau diesem Thema widmet:

Die Beschaffenheit von Weltbeziehungen sagt viel über die jeweilige Kultur aus, die diese prägen. Sie kann uns einerseits Aufschluss geben über unser kulturelles Erbe wie auch andererseits uns über unsere eigenen Praktiken zur Schaffung resonanter – also antwortender – Beziehungen zur Welt aufklären.

Das klingt vielversprechend. Unverkennbar spielt hier der Einfluss des Soziologen Hartmut Rosa hinein, Leiter des Erfurter Max-Weber-Kollegs, und so wird man gespannt sein, ob das Konzept der Resonanz auf diesem Gebiet eine fruchtbare Wirkung zu entfalten vermag.

 

Neuerscheinung: Salafismus und Dschihadismus

Bevor wir es vergessen: Noch eine Neuerscheinung ist zu vermelden. Der Sammelband “Salafismus und Dschihadismus in Deutschland” enthält auch einen Beitrag von mir (zusammen mit Claudia Dantschke, Marwan Abou Taam und Aladdin Sarhan verfasst). Der Band ist bei Campus erschienen und seit einigen Monaten im Buchhandel erhältlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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