Man weis gar nicht, wo man anfangen soll. Da erzählt ein Islamwissenschaftler im “Deutschlandfunk” wirklich einen Haufen Mumpitz, den er als wissenschaftliche Erkenntnis verkauft. Dabei sind seine Thesen weder neu noch wissenschaftlich fundiert, sondern Teil des Mantras, den die Anhänger des Postkolonialismus seit jeher verbreiten. Frank Griffel heisst der Mann, dessen Geschichtsklitterung einem höheren Zweck dient, dem Kulturrelativismus:

„Und ich denke, das sollten wir als Nicht-Muslime in Betracht ziehen, dass Muslime letztlich ihren eigenen Weg in die Zukunft finden müssen und dass es nicht wir sein können, die ihnen sagen sollten: Soundso müsst Ihr sein, Ihr müsst so sein wie wir, Ihr müsst Fortschritt erwarten, Ihr müsst Fortschritt kreieren.‟

Was hier mit dem Gestus des Respekts für andere Kulturen daherkommt, ist reiner Zynismus. Denn eine Gesellschaft, die nicht auf Fortschritt geeicht ist, verwehrt es dem einzelnen, sein kreatives Potential zu entfalten.

In einer Gesellschaft ohne Fortschrittsdenken kann es überhaupt keine Wissenschaftskultur geben, denn Wissenschaft ist gar nicht möglich, wenn man nicht davon überzeugt ist, dass der menschliche Wissensbestand einer dauernden Überprüfung und Anpassung bedarf und es nützlich sein kann, ihn zu erweitern. Ohne Fortschrittsdenken gibt es keine Verbesserung des menschlichen Lebens in materieller Hinsicht. Medizin und Technik bleiben auf der Strecke oder führen ein Schattendasein als gelehrte Spielereien.

In einer Gesellschaft ohne Fortschrittsdenken ist der einzelne zurückgeworfen auf Arbeit und Familie. Produktion und Genuss von Kultur bleiben einer kleinen Elite vorbehalten, die lesen und schreiben und sich Kultur auch in finanzieller Hinsicht leisten kann. Damit sind die muslimischen Gesellschaften über grosse Phasen ihrer Geschichte zutreffend beschrieben.

Natürlich gab es zu allen Zeiten in der Islamischen Welt gelehrte Persönlichkeiten, die enorme Kulturleistungen hervorgebracht haben. Allerdings haben sie es nicht vermocht, ihre Gesellschaften tiefgreifend umzugestalten, wie dies im lateinischen Europa der Fall war. Während Averroes’ Schriften Karriere in der Scholastik machten, wurden sie in seiner muslimischen Heimat verbrannt. Auch wenn sie später rehabilitiert wurden, sollten sie nie die Wirkung entfalten, die sie nördlich des Mittelmeeres erlebten. Weitere Beispiele liessen sich nennen – siehe dazu meinen Aufsatz in dem in Kürze erscheinenden Sammelband Reformation im Islam.

Der Wissenschaftshistoriker und Graeco-Arabist Gotthard Strohmaier schrieb einmal vor Jahren, dass es fraglich sei, ob die europäische Rezeption etwa der Aristoteleskommentare des Averroes wirklich so massgeblich für die kulturelle Entwicklung waren, „oder ob nicht tiefere gesellschaftliche Ursachen verantwortlich” seien, “die ihm eine Aufnahme im Abendland bescherten, die ihm in seiner Heimat versagt blieb.” Gesellschaften ohne Fortschrittsdenken sind trostlose Gesellschaften, ähnlich den Monokulturen geisteswissenschaftlicher Fakultäten an westlichen Universitäten.

Man könnte nun mit Griffel argumentieren, dass dies kein Problem sei, solange die Menschen in den muslimischen Ländern mit ihrem Dasein und ihrer Kultur immer zufrieden waren und keinen Bedarf hatten, daran etwas zu ändern. Dem gilt es zu widersprechen: Selbst wenn dies der Fall war, kann es doch kein Vorbild für heute sein. Tatsächlich hat das Fortschrittsdenken in den muslimischen Ländern bis heute keine rechte Heimat gefunden. Wer von den herrschenden Verhältnissen nicht profitiert, wird versuchen, ihnen zu entkommen. Oft landen solche Leute im Westen.

Vielleicht möchte Frank Griffel mit einem von ihnen tauschen.