Der Philosoph Hans Blumenberg war ein ungemein produktiver Autor. In seinem umfangreichen Nachlass fanden sich zahlreiche Rohmanuskripte und Anweisungen für Publikationen, die noch viele Jahre nach seinem Tod zu teilweise sehr umfangreichen Neuerscheinungen geführt haben.

Dabei hatte Blumenberg erst spät angefangen zu publizieren. Als sein erstes eigenständiges Buch erschien, war er bereits 45. Doch nicht allein seine Produktivität machte ihn zu einem Ausnahmevertreter seiner Zunft, sondern mehr noch sein Kulturoptimismus: Luxus und Spieltrieb galten ihm als wichtige Fortschrittsmotoren. In seinem Büro, schreibt sein Biograph Rüdiger Zill, habe “homerisches Gelächter” geherrscht.

Blumenbergs Philosophie kreist um das erwachende Selbstbewusstsein des modernen Menschen und die daraus resultierenden Konflikte. Weil er Fragen der Gegenwart nur aus der historischen Entwicklung für erklärbar hielt, wurde ihm von einigen namhaften Kollegen abgesprochen, ein Philosoph, vielmehr ein Wissenschaftshistoriker zu sein, wie Hans-Georg Gadamer befand.

Blumenberg selbst vermutete hinter dieser Kritik die versteckte Tatsache, dass Gadamer ein Heidegger-Schüler war und er selbst für Heidegger-Schüler untragbar, wie er in einem Brief an Jacob Taubes 1965 formulierte. Aber nicht nur bei den Heideggerianern eckte er an, auch mit den späteren 68ern hatte er seine Last.

Bei den rebellierenden Studenten, so Blumenberg, verwandele sich Kritik zu einer Tugend und verfestige sich zum universellen Habitus. In seiner eigenen Fakultät galt er als Querulant und Sonderling, was schliesslich dazu führte, dass er sich im Augenblick seiner Emeritierung vom akademischen Betrieb abwandte. Diesen hatte er – nicht nur in Münster, seiner letzten Alma mater – zunehmend als geistlos empfunden.

Zu der wenig bekannten Seite von Blumenberg gehört, dass er auch als Feuilletonist tätig war. Obwohl die Bücher von Blumenberg mich in meiner eigene Forschung- und Publikationstätigkeit ungemein inspiriert haben, wusste ich lange Zeit nichts davon. Erst die hervorragende Biographie von Rüdiger Zill hat mich auf Blumenbergs Kolumne aufmerksam gemacht.

Vor nunmehr vier Jahren sind Blumenbergs frühe Beiträge für das Feuilleton der “Düsseldorfer Nachrichten” in einer Ausgabe der “Neuen Rundschau” neu veröffentlicht worden. Die meisten schrieb Blumenberg unter dem Pseudonym “Axel Colly” und sie sind mehr als nur der Versuch, akademisches Wissen einer grösseren Öffentlichkeit verfügbar zu machem.

Denn Blumenberg zeigt sich auch hier von seiner kulturoptimistischen Seite. Ganz in diesem Sinne kritisiert er in den “Düsseldorfer Nachrichten” vom Dezember 1952: “Die modernen Auguren – die Kulturkritiker, Existenzialisten, Verfasser von Zukunftsromanen –, sie alle überbieten sich gegenseitig darin, unserer Zeit eine Diagnose zu stellen, die gepfeffert ist mit Vokabeln aus dem Schreckenskabinett der Pathologie“,

Im ubiquitären Ruf, allem Überflüssigen zu entsagen, entdeckte er die alte christliche Askese wieder, nunmehr ins Säkulare übersetzt (“Düsseldorfer Nachrichten” vom 7. November 1953) und warnte davor, dass die “Inquisitoren des Überflüssigen” ihre Grenzen immer weiter verschöben, immer neue Feinde schafften, die am Ende den Menschen selbst treffen müsse. Das ist heute noch aktuell.

In dieselbe Kerbe schlägt Blumenberg im Oktober 1955, wenn er mit Verweis auf Leibniz’ Worte, dass die “beste aller möglichen Welten“, in der wir leben, mit dem Erdbeben von Lissabon 1755 zerstört worden sei, auf Voltaire rekurriert, demzufolge in der besten aller möglichen Welten es auch keinen Anlass zum Fortschritt gäbe. Für Blumenberg heisst dies: Die beste aller Welten “ist nicht ein Zustand, den wir vorfinden, sondern ein Zustand, den wir schaffen.”

Umso pessimistischer äussert sich Blumenberg gegenüber der deutschen Universität. Schon im April 1954, lange vor seinem Rückzug, attestierte er dieser, sich in einer Krise zu befinden, wonach die Förderung der Besten substanzlos sei, “wenn sich die hochwertige Nachwuchsschicht gar nicht mehr einfindet, um sich ihr zu stellen. (…) So kommt es zur ‘Auslese’ der Zweit- und Drittbesten, eine Gefahr, die heute an der Universität schon in erschreckendem Ausmaß sichtbar geworden ist.”

Zwei Monate später kritisiert er falsche Ansprüche von Studenten, die sich in der Klage darüber äussern, dass Vorlesungen zu schwer verständlich und didaktisch zu rücksichtslos seien: “Für frühere Generationen war es selbstverständlich, daß man im ersten Semester von einer Vorlesung nur wenig uns später zunehmende mehr verstand und keine ‘pädagogische’ Rücksicht verlangen konnte.”

Nicht alle Beiträge sprühen vor intellektueller Brillanz. Blumenberg hat auch manchen Meinungsbeitrag abgeliefert, der mittelmässig genannt zu werden verdient. Aber in der Summe handelt es sich um schöne, weil noch heute aktuelle Kolumnen, die von einem reflektierten Kulturoptimismus zeugen – und damit aus der Masse hervorstechen. Wer damit etwas anfangen kann, sollte sich diesen Schatz nicht entgehen lassen.


Nachtrag 28. März 2023

Hans Blumenbergs “Die Lesbarkeit der Welt” ist mittlerweile auch auf Englisch erschienen (“The Readability of the World”). Die Los Angeles Review of Books würdigt das Werk mit den Worten “As the James Joyce of philosophy who expects so much from readers, Blumenberg refuses the role of textual Sherpa“, er wisse jedoch mit seiner “Metaphorologie” seine Leserschaft gekonnt durch eine Unmenge an Material zu navigieren.