Schon in der ersten Zeile des Romans geht es los:
“Geräusche hinter der Wand, als würde ein Lastwagen immer wieder versuchen, durch die Wände durchzukommen.“
Diese zweifache Redundanz (“Wand/ Wände” und “durch … durchzukommen“) ist Teil einer ganzen Reihe unglücklicher Formulierungen und ungereimter Gedanken, die dem Leser allein auf den ersten Seiten des Romans “Ein von Schatten begrenzter Raum” von Emine Sevgi Özdamar (Berlin: Suhrkamp, 2021) begegnen.
Da wird eine blinde Frau erwähnt, die mit offenen Augen schläft und dabei so aussieht, “als ob sie sehen kann.” Wie entsteht denn der Eindruck, fragt man sich, dass ein blinder Mensch sehen kann, wenn er mit offenen Augen schläft?
Dann erfahren wir, dass die Frau erst mit zwölf erblindet ist und sie regelmässig von ihrer Zeit träumt, als sie noch sehen konnte. Das wird nun in überkomplexe Worte gefasst, die poetisch klingen sollen, aber nur banal sind:
“Die Bilder, die sie zwölf Jahre gesehen hat, sind nicht mit ihr blind geworden. Sie haben sich jetzt nur von den zu schwarzer Leere gewordenen Gassen und Zimmern in die Träume der blinden Frau zurückgezogen.“
Wieder wird der Lastwagen erwähnt,
“als ob er hinter der Wand stünde und sich immer wieder vorwärtsbewegte, um durch die Wand zu fahren.”
Die doppelte Erwähnung der Wand macht den Satz schwerfällig, der zudem einen kurz zuvor geschilderten Sachverhalt ein weiteres Mal ins Spiel bringt, ohne die Geschichte voranzutreiben.
Plötzlich fällt Reisig von der Decke. Wo kommt es her? Gemeint sind wohl Holzsplitter, kein Reisig, das sind nämlich kleine Zweige. Jedenfalls kommt das vermeintliche Reisig von den “Deckenbalken” der “Zimmerdecke“.
Natürlich sind die Balken der Zimmerdecke Deckenbalken, was denn sonst? Die abermalige Redundanz der Information tut dem Satz nicht gut. Weiter heisst es:
“Das Morgenlicht draußen, das mit einem Bein noch in der Nacht stand” –
Seit wann hat Morgenlicht Beine?
– “hatte sich durch die Fenster über den Tisch und die Stühle schon hingesetzt und mit seinem traurigen Schatten” –
Ein Morgenlicht, das sich mit einem Bein hinsetzt und einen traurigen Schatten wirft?
– “die Küche aus dieser Welt getrennt, um diesen Ort wieder den Toten zu geben, die einmal hier gewohnt hatten.“
Tote haben gewohnt? Die Erzählerin meint wohl: Menschen, die vor langer Zeit gelebt haben, waren dort zuhause.
Nun verläuft sich die Geschichte im Ungefähren:
Tauben gurren und schlagen mit den Flügeln, erfahren wir, aber nur “vielleicht.” Warum nur “vielleicht”?
Gurren und schlagen sie mit den Flügeln oder gurren und schlagen sie nicht? Wenn sie es nicht tun, braucht man es nicht zu erwähnen.
Es folgt das nächste Nicht-Ereignis:
“Hatte die Kirche, als ich noch schlief, dem Esel etwas erzählt, dass er dann so unruhig wurde, oder hatte die Kirche mit sich selbst gesprochen, und der Esel hatte sie gehört?“
Allein der Umstand, dass der Esel seinen Kopf in Richtung Kirche reckt, veranlasst die Erzählerin zur Vermutung, hier könnte ein kommunikativer Akt stattgefunden haben. Für den unmittelbaren Fortgang der Geschichte ist dies jedoch ohne Bedeutung.
Von Fischern und ihren Füssen wird gesagt:
“Diese Füße lagen jetzt hinter den Haustüren als Schuhe und mussten auf den Morgen warten.“
Sind also die Fischer ohne Füsse zu Bett gegangen, weil diese sich in Schuhe verwandelt haben? Man mag gar nicht darüber nachdenken.
Während die Füsse als Schuhe warten, steht die Grammatik kopf und so schauen Fischerfrauen (Plural) in ihren Nachthemden (Plural) von ihrem Bett aus (Singular) auf ihren weggehenden Mann (Singular).
Dass die Fischer ihre sonnengegerbten Gesichter waschen, aber nicht abtrocknen, bevor sie zur Arbeit eilen, liest sich bei Özdamar so:
“Das Wasser, mit dem sie ihre Gesichter schnell gewaschen haben, wird zuerst in ihren Gesichtsfurchen stehen bleiben und erst auf halbem Weg zum Hafen auf die Erde fallen.”
Wasser verdunstet nicht, es fällt nach einiger Zeit zu Boden. Welche Physik mag da wohl am Werk sein?
Die Motoren der Boote sind nicht einfach laut und bringen den Boden zum Vibrieren, nein: Die Erzählerin glaubt die Information loswerden zu müssen, dass es sich eigentlich um solche für Ackerbewässerungsanlagen handelt, als ob das in dem Kontext irgendeinen Unterschied machte.
Als nächstes wird erzählt, dass die Stimme des Imam
“in die Häuser schleichen und in den Zimmern anfangen herumzulaufen” wird und schliesslich “die Handtücher, die im Dunkeln in sich ruhend hängen, anfassen” –
Wir brechen hier ab.
Tiefsinn kann man nicht mit sprachlichen Mitteln erzwingen. Wer es versucht, muss scheitern. Zumindest die ersten Seiten (mehr habe ich nicht gelesen) scheinen über das Stadium einer Rohfassung nicht hinausgefunden zu haben. Anstatt den Text zu lektorieren, wurde er offenbar gleich zur Druckerei durchgewinkt.
Was für einen Roman aber haben all die Rezensenten gelesen, der sie zu solchen Lobeshymnen veranlasst?