An der Universität Bochum wird derzeit eine Professur für „Transformationen Audiovisueller Medien unter besonderer Berücksichtigung von Gender und Queer Theory” ausgeschrieben. Der Vormarsch der Gender Studies ist nichts ungewöhnliches, da sie sich als „Querschnittswissenschaft‟ verstehen und Relevanz für sämtliche akademischen Disziplinen beanspruchen.

Bemerkenswert ist vielmehr, dass besagte Professur als Teil der Medienwissenschaften an der Fakultät für Philologie angesiedelt ist. Die Erforschung der „Transformationen audiovisueller Medien‟ – ob nun mit oder ohne Gender- und Queer-Theorie – hat mit Philologie aber wenig zu tun, es sei denn, das „audio-‟ bezöge sich auf publizierte Texte. Wie dem auch sei, ein im klassischen Sinne philologisches Fach ist es nicht.

Muss es auch nicht sein!, würde mancher dem entgegenhalten, Dinge verändern sich nun einmal! Richtig, aber gerade die Universität Bochum hat in der Vergangenheit mindestens drei philologische Studiengänge geschlossen: Die Indologie, die Hethitologie und die Neogräzistik. Warum diese Umstrukturierung?

Verantwortlich für die Abschaffung besagter Fächer war zum einen das Land NRW, dessen rot-grüne Regierung ganz einfach Geld sparen wollte, zum anderen die Universität, die selbst entscheiden durfte, welche Fächer über die Klinge springen mussten und die sich für genannten drei Studiengänge deshalb entschied, weil diese kaum Einschreibungen vorzuweisen hatten. In der Indologie passten der Professor und seine Studenten in einen Aufzug.

Anders gesagt: Hier wurden marktwirtschaftliche Argumente von Angebot und Nachfrage ins Spiel gebracht und zwar von Leuten, die nicht unbedingt als grosse Verfechter marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien bekannt sind. (Nebenbei: Die Streichung dieser Studiengänge wurde der Öffentlichkeit als „Qualitätspakt‟ verkauft, was den Betroffenen als reiner Zynismus erscheinen muss.) Auch in den Gender Studies mag man die Marktwirtschaft nicht allzu sehr – aber wenn die Nachfrage nach den eigenen Angeboten einfach höher ist, warum sollte man das nicht als Argument für sich nutzen?

Dass es die philologischen Fächer trifft, dürfte aber nicht nur etwas mit den geringen Einschreibungen zu tun haben. Die Geisteswissenschaften haben in den vergangenen zwanzig Jahren den Siegeszug des Postkolonialismus erlebt, der ein ganz grundsätzliches Problem mit der Philologie hat, wie ein Text des Historikers Peter Gran zeigt:[1. Peter Gran, Islamic Roots of Capitalism: Egypt, 1760-1840, New York 1998, Introduction S. xxi-xxii.]

„For philologists, what one thinks can be broken down into words; each word has a discrete meaning, the sum of the words equal the sum of the meaning. (…) If the ordinary historian is oriented to advances in the discipline of history on a world scale, the historian trained as a philologist is not. He or she remains encased inside a particular language, or language group, like Semitics.‟

Das ist ein ziemliches Zerrbild des fachlichen Selbstverständnisses, aber symptomatisch für das Misstrauen, das der Postkolonialismus der Philologie entgegenbringt. Dieses Misstrauen wird nun nicht zuletzt auch in den Fakultäten für Philologie gehegt, wo die meisten islamwissenschaftlichen/ orientalistischen Institute angesiedelt sind, die vom Postkolonialismus besonders stark erfasst sind. Im Ergebnis werden die philologischen Fächer vielleicht nicht ganz abgeschafft – aber sie werden weniger philologisch und zunehmend sozialwissenschaftlich.

Nichts gegen die Sozialwissenschaften, aber irgendwann wird man die Frage stellen, wozu man eine Fakultät für Philologie braucht, die sich sozialwissenschaftlicher Methoden bedient, wo diese doch nebenan in der Fakultät für Soziologie schon seit jeher eine Heimat gefunden haben und man dort womöglich noch dieselben Themen beackert.

Dabei kann die philologische Herangehensweise an Texte eine gute Ergänzung sein zu einer sozial- bzw. politikwissenschaftlichen oder anderen Ausbildung. Ich habe das immer zu schätzen gewusst. Hierzu eine kleine Geschichte, die Klaus Oehler in seinen Lebenserinnerungen erzählt. Oehler, der sowohl Altphilologe als auch Philosoph ist, war als Assistent in den fünfziger Jahren einmal von Adorno gebeten worden, eine Liste mit sämtlichen Stellen bei Platon zusammenzustellen, in denen das Wort „Idee‟ auftauchte.

Adorno hatte auf dem Gymnasium wohl einmal Latein und Griechisch gelernt, aber eine akademische philologische Ausbildung nie genossen. Oehler merkte an, dass das griechische Wort für Idee bei Platon keineswegs immer mit unserem Wort „Idee‟ identisch sei und auf sprachlich unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht werde. Adorno fragte daraufhin allen Ernstes, wozu es denn Übersetzungen gebe, und auf die Gegenfrage, welche Übersetzung er denn nehmen solle, entgegnete er: Irgendeine, der Unterschied könne ja so gross nicht sein.

Oehler wurde daraufhin klar, dass Adorno „überhaupt keine Affinität zu historischem Denken hatte, geschweige denn zu den Problemen der Textüberlieferung, der Begriffsgeschichte, der Semantik und der Übersetzung.“[2. Klaus Oehler, Blicke aus dem Philosophenturm: Eine Rückschau, Hildesheim, Zürich, New York 2007, S. 105-6.] Genau das hätte Adorno von den Philologen lernen können.

So bleibt heute nur die alte Weisheit von Hermann Usener aus dem Jahre 1889: „Ein rechter Philologe muß ein Ritter ohne Furcht sein.“

(Überarbeitet am 21.01.2018)