Es gibt so einiges, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen läuft, das nicht den allerhöchsten Standards entspricht und selbst ernste Themen werden zuweilen flapsig abgehandelt, man denke hier nur an die Reportage “Europas Muslime”: Gespräche hier und dort, hauptsächlich in Deutschland und Frankreich, dazu ein paar Expertenmeinungen und etwas Hintergrundwissen, fertig! Witzig die Szene, in der sich die Arte-Redakteurin in Begleitung einer Journalistin und eines Islamkritikers einen Niqab anzulegen versucht und dabei grandios scheitert (bei ca. 21:00). Ein sympathischer Film, aber eben auch leichte Kost.

Die Arte-Dokumentation “Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa” war im Stil ganz ähnlich, doch sind die Filmemacher einem verhängnisvollen Irrtum erlegen: Sie haben nicht bedacht, dass im Falle des Themas Antisemitismus für Arte und den WDR nur die allerhöchsten journalistischen Massstäbe gelten, wo man sonst womöglich ein Auge zugedrückt hätte.

Jede Aussage im Film wird daher auf die Goldwaage gelegt und sogar ein Faktencheck gemacht, der die besondere Sorgfalt illustrieren soll, die die Oberen von WDR und Arte haben walten lassen. Der Faktencheck hat es in sich, aber anders als man bei WDR und Arte glaubt. Da wird eine Reihe von Aussagen des Films als nicht haltbar oder fragwürdig eingeschätzt, doch dies teilweise mit Argumenten begründet, die mit einem Faktencheck gar nichts zu tun haben. Das ist die doppelte Blamage des WDR: Erst einen in Auftrag gegebenen Film mit der Begründung, er enthalte handwerkliche Fehler, nicht zu zeigen und dann bei der Begründung der handwerklichen Fehler zu patzen. U.a. stört man sich an folgenden inkriminierten Aussagen (kursiv):

1 – Die Nakba-Wanderausstellung betreibt Heimatvertriebenenkult und deutet Geschichte um.

Dazu lässt der WDR die Vorsitzende des für die Ausstellung verantwortlichen Vereins zu Wort kommen, die, was niemanden wundert, die Ausstellung verteidigt und die Kritik der Filmemacher verwirft. Was dies mit einem Faktencheck zu tun haben soll, bleibt das Geheimnis der WDR-Verantwortlichen. Hier wurde nichts recherchiert, nichts gegengecheckt.

2 – Das Bedürfnis den Nationalsozialismus zu relativieren, gibt es in der Linken teilweise noch ausgeprägter als in der Rechten. (…) Große Teile der Linken haben einfach so getan, als wenn man wieder 1932 anfangen könnte.

Von dieser Aussage sagt der WDR, dass sie “kritisch” gesehen werden müsse, da sozialistische Systeme wie DDR und Sowjetunion sich “deutlich vom Nationalsozialismus ab[gegrenzt]” hätten. Dies freilich vermag die Aussage des zitierten Politikwissenschaftlers nicht im geringsten zu erschüttern, denn diese Staaten haben getan, wogegen die Kritische Theorie sich wendet. Dass die Propaganda der kommunistischen Staaten hier einfach kritiklos wiedergegeben wird, hat nicht nur der AJC verwundert registriert. Von einem Faktencheck kann hier nicht die Rede sein.

3 – Richard Wagner argumentierte in seiner Schrift bereits offen rassistisch.

Dem “Faktencheck” des WDR zufolge entspreche dies nicht dem Stand der Forschung und die Redaktion verweist auf den in einem Sammelband erschienenen Aufsatz des Literaturwissenschaftlers Dieter Borchmeyer. Tatsächlich aber spricht Borchmeyer in besagtem Aufsatz explizit von der “Judenfeindschaft” Wagners, die zwar nur eine “theoretische” (S. 224 gewesen sei, aber eben doch eine vorhandene, sodass Nietzsche sich von ihr distanziert habe (S. 227). Später habe Wagner von der “gegenwärtigen ‘antisemitischen’ Bewegung” nichts wissen wollen, doch habe er selbst seinen Aufsatz über das musikalische Judentum “als Initialzündung der antisemitischen Agitation ausgegeben”, wie Borchmeyer schreibt. Um diese Wirkungsgeschichte geht es in der Arte-Dokumentation, nicht um eine Bewertung der Person Richard Wagners. Der “Faktencheck” des WDR versagt hier völlig.

4 – “Sie werden kaum erleben, dass ein Antisemit öffentlich, vor dem Rathaus oder bei der Presse oder in einer Talkshow sagt: “Ja, ich bin Antisemit, ich habe etwas gegen Juden, Juden sind ganz schlimme Menschen.”

Dieses Zitat der Linguistin Monika Schwarz-Friesel faktencheckt der WDR dahingehend, dass Schwarz-Friesel im Film eigentlich nur zu ihrer 2012 verfassten Studie befragt wird, die Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland und an die Israelische Botschaft in Deutschland ausgewertet hat. Offenbar meint der WDR, dass dies mit dem Thema der Dokumentation nichts zu tun habe oder Frau Schwarz-Friesel nicht objektiv sei. Beides wäre absurd, denn wer wäre für einen Film über Antisemitismus besser geeignet, ein wissenschaftliches Statement abzugeben als eine Wissenschaftlerin, die zu antisemitischen Argumentationsmustern eine Studie verfasst hat?

5 – Einblendung: Prof. Gerald M. Steinberg, Politologe und Gründer “NGO Monitor”.

Der WDR hat auch hier die Fakten gecheckt und ist zwar nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass Gerald Steinberg gar nicht der Gründer von NGO Monitor ist, hat dafür aber etwas anderes herausgefunden bzw. glaubt, etwas herausgefunden zu haben, nämlich:

Der Film offenbart jedoch nicht, dass Prof. Dr. Gerald M. Steinbergs Organisation NGO Monitor keine unabhängige Organisation ist.

Steinbergs NGO Monitor wird von amerikanischen Privatpersonen und Stiftungen finanziert. Mitgründer war die Wechsler Family Foundation.

Auch das Institute for Zionist Strategies ist eng mit NGO Monitor verbunden und hat einen Unterstützerkreis in den USA.

Das wird von NGO Monitor heftig bestritten – wobei die Organisation dem WDR vorwirft, sich “nicht mit NGO Monitor in Verbindung” gesetzt zu haben, wo doch der WDR seinen Filmemachern genau diese Praxis ankreidet. Schwerer wiegt, dass der WDR offenbar glaubt, eine Finanzierung durch amerikanisch-jüdische Organisationen wie der Wechsler Family Foundation mache NGO Monitor von vornherein unglaubwürdig, wenn es um eine Kritik an der Förderungspolitik der EU für NGOs in Israel geht. Warum? Weil amerikanische Juden immer dazu neigen, nur das Schlechte in der EU zu sehen?

6 – Im Rahmen der Terroroffensive kommen im Konzerthaus Bataclan 90 Menschen ums Leben, hunderte werden verletzt. Die ehemaligen Besitzer waren kurz zuvor nach Israel ausgewandert. Jahrelang hatten sie hier Spenden-Galas für Israel organisiert. Seit 2008 wurden die jüdischen Inhaber massiv bedroht. 2011 entging das Bataclan nur knapp einem geplanten Anschlag. Internationale Ermittlungen führten rechtzeitig zur Festnahme der Attentäter.

Hierzu meint der WDR, es gebe “keinerlei Belege dafür, dass der Anschlag auf das Bataclan im November 2015, zu dem sich der IS bekannt hat, antisemitisch motiviert” gewesen sei. Dieser Faktencheck ist aus Pappe. Der Film wollte ganz offenbar nur thematisieren, dass es einen Exodus französischer Juden nach Israel gibt, der weniger in der Liebe zu Israel als vor allem in der Erfahrung des Antisemitismus wurzelt. Dieser äussert sich auch in der Androhung und Ausübung von Gewalt und spätestens als islamistische Terroristen ein Massaker im Bataclan anrichteten, dürfte den einstigen Besitzern klar geworden sein, dass auszuwandern die richtige Entscheidung war, anstatt in Frankreich zu bleiben und Belege für Judenfeindschaft einzufordern. Mit diesem Faktencheck hat sich der WDR abermals blamiert.

Am Sonntagmittag hielt der WDR auch noch eine Talkrunde zum Thema ab, in der Programmdirektor Schönenborn zu Wort kam. Der behauptete doch tatsächlich, dass man den Film nicht habe überarbeiten können, weil in der dazugehörigen Unterredung mit den Filmemachern ein “geschützter Raum” unabdingbar sei, den Film betreffende Informationen also nicht an Aussenstehende hätten gelangen dürfen. Als dies einmal eingetreten sei, sei die Kontrolle über den redaktionellen Prozess nicht mehr gegeben gewesen.

Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Erst als Informationen an die Öffentlichkeit gerdrungen waren, dass der Film zu einem so wichtigen Thema wie dem israelbezogenen Antisemitismus von den Senderverantwortlichen zurckgehalten wird, hat sich Druck aufgebaut, ebenjenen Film öffentlich zu machen.

WDR und Arte hätten dem sich aufbauenden Druck leicht durch ein Dementi entgegenwirken und mit dem Hinweis reagieren können, dass der Film noch in der Überarbeitung sei. Stattdessen haben Arte und der WDR durch ihr Verhalten erst öffentlichen Druck provoziert, den sie dann als Entschuldigung nehmen, dass sie den Film nicht haben überarbeiten können.

Schönenborn, der sich als Programmdirektor in der Rolle eines “Anwalts des Zuschauers” fühlt, hätte besser daran getan, sich als Anwalt eines professionellen Journalismus zu begreifen, der es seinen Zuschauern nicht um jeden Preis recht machen will. Nicht umsonst sind die öffentlich-rechtlichen Sender den Launen des Marktes weit genug entzogen, als dass man handwerkliche Mängel als Entschuldigung hätte heranziehen müssen, einen offenbar unbequemen Film nicht auszustrahlen. Dass der Faktencheck selber voller ganz grundsätzlicher Mängel ist, lässt die ganze Geschichte endgültig zu einer Blamage werden.