Man weiss es ja nicht so genau. In jedem von uns kann ein rassistisches Monster stecken, das unsere Gedanken kontrolliert, ohne dass wir es merken. Gut, dass es die “Campus”-Beilage der “Zeit” gibt. Diese hat einen putzigen Fragebogen entwickelt, mit dem sich jeder gewissermassen selbst auf den Zahn fühlen kann.
Angesprochen wird zwar eher ein junges Publikum, das gerne in Clubs geht, sein Smartphone fürs Tindern benutzt und sich wie selbstverständlich duzen lässt, aber wir wollen darüber hinwegsehen und schauen, ob der Fragebogen vielleicht einen Nerv trifft. Es folgen meine Antworten und ein Kommentar.
1. Wie oft wirst du auf einer Party gefragt: Wo kommst du wirklich her?
Nie.
2. Und wie oft fragst du selbst?
Nie.
3. Fragst du Weiße beim Smalltalk nach ihren Großeltern?
Wie bitte?
4. Fühlst du dich jetzt schon von diesem Fragebogen angegriffen?
Noch nicht.
5. Kannst du fluchen, Secondhand-Kleidung tragen, nicht auf Mails antworten – ohne, dass Menschen diese Entscheidung mit Sittenlosigkeit, Armut oder Faulheit verknüpfen?
Ich kann nicht in die Köpfe anderer Menschen schauen.
6. Denkst du, du bist nicht rassistisch, weil du einen Freund mit Migrationshintergrund hast?
Mein Freundeskreis besteht zu ca. neunzig Prozent aus Menschen mit Migrationshintergrund. Dennoch glaube ich nicht, dass ich deswegen nicht rassistisch bin. Ich denke, ich bin nicht rassistisch, weil ich nicht rassistisch bin.
7. Weißt du, wie viele Muslime in Deutschland leben?
Schätzungen sagen knapp fünf Millionen. Die genaue Zahl weiss wohl niemand.
8. Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben?
Liebe Fragebogenautoren: “persisch” ist eine Teilmenge von “asiatisch”. Davon gibt es einige, die meine engen Freunde sind. Auch zwei (Schwarz-)Afrikaner sind darunter, doch unglücklicherweise keiner aus dem schönen Nigeria.
9. Wusstest du, dass fast jeder Vierte in Deutschland einen Migrationshintergrund hat?
Wenigstens behauptet Ihr nicht wie Navid Kermani, die Mehrheit der Deutschen habe einen Migrationshintergrund.
10. Fühlst du dich fremd, wenn Leute um dich herum Arabisch oder Russisch sprechen?
Kommt darauf an.
11. Fühlst du dich fremd, wenn Leute um dich herum Englisch sprechen?
Kommt darauf an.
12. Wenn du ein Kind hättest, würdest du es in eine Kita mit mehrheitlich Kindern mit Migrationshintergrund schicken – wenn es in der Nähe eine Kita mit mehrheitlich weißen Kindern gäbe?
Kommt darauf an.
13. Wischst du bei Dating-Apps tendenziell weiter, wenn die angezeigte Person nicht weiss ist?
Was die Partnerwahl angeht, so habe ich eine Präferenz für südländische Frauen. Ich würde folglich eher bei “weissen” Frauen weiterwischen.
14. Kennst du fünf Bücher von Autorinnen, die nicht weiß sind?
In meiner Privatbibliothek befindet sich ein Roman von Toni Morrison, von der ich weiss, dass sie eine Frau und schwarz ist. Ansonsten frage ich nicht nach der Hautfarbe von Autorinnen (von Autoren auch nicht).
15. Wie viele hast du davon gelesen?
–
16. Wie ehrlich warst du bei Frage 13?
–
17. Stell dir vor, du siehst eine rassistische Diskussion im Netz. Würdest du dich einmischen?
Vor mehr als fünfzehn Jahren war ich das erste und letzte Mal in meinem Leben in einem Online-Forum unterwegs. Es handelte sich dabei um ein deutsch-griechisches Forum und die überwältigende Mehrheit der Nutzer waren Deutsch-Griechen. Von diesen wiederum war die überwiegende Mehrheit offen rassistisch eingestellt: Gegen Türken, gegen Albaner, gegen Juden, gegen Amerikaner. Ein paar Türken gab es auch im Forum. Die mussten manchen Rassismus ertragen, hatten aber mit den griechischen Nutzern einen gemeinsamen Nenner: Den Hass auf Juden und Amerikaner. Ja, ich habe mich oft eingemischt. Ich war deswegen “der Jude”.
18. Hast du dich schon mal eingemischt – im Netz, auf der Straße, in ein Gespräch mit Freunden?
s.o.
19. Wie oft wurdest du schon von der Polizei angehalten und kontrolliert?
Kann ich an einer Hand abzählen.
20. Also in diesem Monat?
Null.
21. Wirst du auch ohne blonde Begleitung in die meisten Clubs gelassen?
Meine Begleiterinnen waren selten blond.
22. Wurdest du schon mal dafür verprügelt, dass du aussiehst, wie du aussiehst?
Nein.
23. Stört es dich, wenn deine Eltern ganz anders über Migrantinnen denken als du?
–
24. Haben Fremde schon mal ungefragt deine Haare angefasst?
Wie bitte?
25. Gibst du dir viel Mühe, die Namen spanischer, italienischer oder französischer Fußballspieler richtig auszusprechen, die von türkischen und vielen anderen aber nicht?
Meine Mühe hält sich in allen Sprachen in Grenzen.
26. Wie würdest du dich fühlen, wenn deine neuen Nachbarn eine afghanische Familie wären?
Kommt auf die Familie an.
27. Wie würdest du dich fühlen, wenn deine neuen Nachbarn eine schwedische Familie wären?
Kommt auf die Familie an.
28. Bezieht es irgendjemand auf dein Aussehen, wenn du etwas nicht so gut kannst?
Da müsste man “irgendjemanden” fragen.
29. Welches Bild kommt dir in den Kopf, wenn du an schwarze Männer denkst?
Schwarze Männer. In Armani-Anzügen.
30. Welches Bild kommt dir in den Kopf, wenn du an muslimische Frauen denkst?
Frauen. Mit Henna-Tattoos.
31. Hast du schonmal gedacht: Wenn ich könnte, würde ich nur mit Menschen zusammenarbeiten, die so sind wie ich?
Schon vorgekommen.
32. Siehst du Menschen, die dich repräsentieren, wenn du den Fernseher anschaltest oder eine Zeitung aufschlägst?
Ich verstehe die Frage nicht.
33. Wie oft geben dir Menschen in deinem Umfeld das Gefühl, dass du nicht zu dieser Gesellschaft gehörst?
Nie.
Soweit der Fragebogen. Zwei Dinge fallen auf:
Zum einen wird hier auf subtile Weise “Migrationshintergrund” mit Islam in Verbindung gebracht. Unter Punkt 7 hätte man z.B. auch nach Buddhisten oder Orthodoxen fragen können. Die Autoren wissen, warum sie dies nicht getan haben.
Zum anderen beziehen sich alle Fragen auf den rechten Rassismus, nicht eine einzige auf den linken. Der linke Rassismus besteht darin, Menschen mit Migrationshintergrund grundsätzlich weniger zuzutrauen und für ihre Leistungen die Messlatte niedriger zu hängen. Ein solcher Rassismus ist nicht weniger übel als ein nicht-paternalistischer. Auch hier werden die Autoren wissen, warum sie nicht danach gefragt haben.