Writing East and West

Author: michael kreutz Page 4 of 12

Writer, speaker, traveler.

Die Wahhābiten im Spiegel französischer Diplomatie

Mein Artikel von 2013 “Der politische Nomade. Die Wahhābiten des 19. Jahrhunderts im Spiegel französischer Diplomatie“, erschienen in der “Historischen Zeitschrift”, gibt es jetzt per Open Access zum Download als PDF.

Mitteilungen aus dem Denklabor (4) – Die Wonnen des Habañero

“Wahre Chilifans”, schreibt Amal Naj in seinem Buch “Scharfe Sachen”, “hegen nicht nur eine Vorliebe für scharfe Sachen – sie werden von einem regelrechten Verlangen getrieben. (…) Sie stöhnen wohlig ‘Ah!’, wenn sie in eine knackige Schote beissen. Und während sie noch schniefen und nach Luft ringen, verlangen sie schon nach mehr, damit die Wogen der süssen Qual nicht allzu rasch verebben.”

Das kann ich nur bestätigen. Nach Luft zu ringen, die brennende Schärfe auf der Zunge zu spüren und das Essen dabei zu geniessen – das ist mitnichten ein Widerspruch, zumal der Geschmack von den Schoten auch keineswegs übertüncht wird. Chili flutet die Sinne und macht selbst fades Essen zum Hit.

Tatsächlich lässt sich die Sucht nach dem Chili chemisch leicht erklären: Es ist das in der Frucht enthaltene Capsaicin, das dem Gehirn den Eindruck vermittelt, die Zunge würde verbrennen, wie durch Feuer oder Säure, wodurch der Organismus Endorphine ausschüttet, eine Art körpereigenes Schmerzmittel. Je schärfer das Chili wirkt, desto stärker die Ausschüttung von Endorphinen.

Vergessen Sie die daher Jalapeños! Viel schärfer sind Habañeros, die ganz oben in der Taxonomie der scharfen Pfefferschoten stehen. Bei Zubereitung und Genuss sollte man aber ein paar Dinge beachten. Das Zeugt steigt einem nämlich leicht in die Nase und sobald man einen Niesreiz verspürt, schluckt man es am besten schnell hinunter oder spuckt es aus, anderenfalls zieht man es in die Luftröhre, was sehr unangenehm werden kann und einen für einige Minuten in Agonie versetzt.

Vor der Zubereitung sollte man die Schoten unter kaltem Wasser abspülen, wobei die Betonung auf “kalt” liegt. Warmes Wasser nämlich löst die scharfen Bestandteile aus dem Fruchtfleisch und das kann ebenfalls sehr unangenehm werden. Das gilt auch für Schoten, die in der prallen Sonne gelegen haben, bevor man sie zubereitet. Mir ist das einmal vor Jahren passiert. Danach haben meine Hände dermassen gebrannt, dass ich mehrere Stunden immer wieder meine Hände kühlen musste, um den pochenden Schmerz zu lindern.

Ich schnappte nach Luft. Um meinen Kreislauf zu stabilisieren und einen Kollaps zu vermeiden, bin ich dann vier Mal um den Häuserblock gehechtet. Danach ging es mir besser. Merke: Diese Habañeros sind nicht ohne! Zur Vorsicht verwende ich seitdem nur Handschuhe bei der Zubereitung. Aber selbst damit wasche ich die Schoten nur kalt ab, weil bei warmem Wasser die Schärfe durch die Plastikhandschuhe dringt.

Wer Habañeros kaufen will, wird nur in wenigen Läden fündig. In arabischen oder türkischen Supermärkten sind sie nicht zu finden, in deutschen nur selten und wenn, dann abgepackt in geringer Menge für teures Geld, während man für denselben Betrag beim Inder oder Afrikaner einen ganzen Beutel bekommt. (“Pass auf dich auf und viel Spass mit scharf!”, pflegt mein indischer Chili-Dealer zum Abschied zu sagen.) Man kann die Dinger auch selbst züchten, aber meine Erfahrung ist da weniger gut, seitdem ein Schädling meine Pflanze vernichtet hat.

Dieses kulinarische Wunder der Habañeros jedenfalls haben wir den Mayas zu verdanken, die sie schon vor achttausend Jahren im Gebiet des heutigen Mexiko konsumiert haben, und natürlich Kolumbus, der die wunderbare Schote in die Alte Welt brachte, von wo aus sie sich über die ganze Erde verbreitete und vor allen in Teilen Asiens und Afrikas fester Bestandteil der Küche wurde. Ich selber, obwohl ich schon seit meiner Jugendzeit sehr scharf esse, habe die Freuden des Chili so richtig erst vor fünfzehn Jahren durch einen kamerunischen Freund kennengelernt.

Er findet das bis heute amüsant, dass ich als Nichtafrikaner jeden Tag Chilis esse und bittet mich mit schönster Regelmässigkeit, wenn Afrikaner zugegen sind, ihnen davon zu berichten, wie ich sie zubereite und esse (also die Chilis, nicht die Afrikaner). Hier, schaut her, ein Deutscher, ein Weisser, der isst wie ein Afrikaner, haha.

Ich könnte an dieser Stelle nun weit ausholen und etwas über die Segnungen von Globalisierung und Proto-Globalisierung am Beispiel der Habañeros erzählen, aber hebe mir das für ein anderes Mal auf und präsentiere stattdessen mein Geheimrezept mit präzisen Mengenangaben für alle, die noch nicht auf den Geschmack gekommen sind. Das Ergebnis eignet sich für alle Arten von Fleisch und Fisch und selbst als Dip:

1 – Man nehme eine beliebige Anzahl von Schoten, wasche sie unter kaltem Wasser und schneide Strunk und Stiele ab. (Ich schneide die Dinger ausserdem auf, um eventuell faulige Stellen auszumachen, aber auch um sicherzugehen, dass keine Raupe im Inneren ist, wie ich es vor Jahren einmal erlebt habe.)

2 – Dann gebe man eine Knoblauchzehe hinzu …

3 – … und nach Gefühl jede Menge fette Brühe oder Delikatessbrühe.

4 – Anschliessend wird das ganze ordentlich mit Sonnenblumenöl übergossen …

5 – … und in der Maschine püriert.

Fertig! Das Ergebnis ist die pure Lust, lässt einen schniefen und nach Luft ringen und nie mehr los.

In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern: Scharfe Ostern!


Nachtrag 24. April 2020

Lehrreich und unterhaltsam: Einer China-Vloggerin zuzusehen, wie sie scharfes Chili-Öl zubereitet und zeigt, wie man es in der chinesischen Küche benutzt. (NB: Auf ihrem T-Shirt steht 老外 lǎo wài, zu Dt. “Ausländerin”.)

Nachtrag 15. Juli 2021

Der Schriftsteller Claude Cueni hat ein kleines Lob auf den Chili verfasst.

Mitteilungen aus dem Denklabor (3) – Was ein katholischer Theologe so über den Islam denkt

Geht es um den interreligiösen Dialog, dann wird es gern idealistisch. Überhaupt stelle ich immer wieder fest, wie ihre Verfechter häufig so tun, als gäbe es, sobald es um den Islam geht, nur den Koran und eine Vielzahl von Auslegungen – ganz so, als habe es nie eine tausendjährige Theologie gegeben, wobei wir hier das Wort Theologie in Ermangelung eines passenderen Begriffs verwenden, haben sich doch die muslimischen Rechtsgelehrten immer als Juristen begriffen.

Wenn von islamischer Theologie die Rede ist, dann ist meist die sunnitische gemeint, wie auch die überwältigende Mehrzahl der Muslime, 85 bis neunzig Prozent, dem sunnitischen Islam angehören. Eines der Kennzeichen des sunnitischen Islam ist, dass er den ra’y aus dem Instrumentarium der Urteilsfindung ausgeschlossen hat. Bevor wir dazu kommen, was mit “ra’y” gemeint ist, wollen wir etwas zurück in die Geschichte gehen.

Nach dem Tode des Propheten hatten die Muslime nur den Koran und noch keine kanonisierte Lesart. Da der Koran ein ziemlich dünnes Buch ist, liefert er auf eine Vielzahl von Fragen keine Antworten. Wer eine arabische oder zweisprachige Ausgabe in seinem Regal neben der Bibel stehen hat, täuscht sich leicht: Der Koran scheint nur etwa ein Drittel weniger Umfang zu haben als die Bibel, in Wirklichkeit aber ist der Unterschied viel grösser.

Während Ausgaben der Bibel zumeist auf Dünndruckpapier soviel Text pro Seite wie möglich unterzubringen bestrebt sind, enthalten Koranausgaben im arabischen Original meist nur wenige Sätze pro Seite (vgl. Baker 2007, passim), was ihre Seitenzahl aufbläht. Zählt man hingegen die Wörter, kommt man, je nach Methode, auf weit über 700.000 bei der Bibel, auf über 70.000 beim Koran. Der Koran hat also ungefähr ein Zehntel des Umfanges der Bibel. Dass genauere Angaben schwierig sind, weil nicht immer klar ist, was als einzelnes Wort gezählt werden soll, muss uns hier nicht weiter beschäftigen.

Die muslimischen Gelehrten der frühen Zeit jedenfalls hatten immer, wenn sie auf Grundlage des koranischen Textes keine Antwort auf eine juristische Frage zu geben wussten, ihre individuelle Vernunft, man könnte auch sagen: ihren gesunden Menschenverstand, ins Spiel gebracht, also ihre Meinung geäussert, auf Arabisch: “ra’y”. Da unterschiedliche Gelehrte unterschiedliche Meinungen hatten, bildeten sich lokal unterschiedliche Schulen aus.

Das klingt aus heutiger Sicht sehr fortschrittlich weil pluralistisch, aber diese Schulen lagen zum Teil im Clinch miteinander und es würde hier zu weit führen, die weltpolitischen Hintergründe und theologischen Verschlingungen im einzelnen anzuführen, die daraus folgten. Relevant in diesem Zusammenhang ist nur, dass innerhalb der Gelehrtenschaft schon bald eine Strömung dominieren sollte, deren Programm die Vereinheitlichung der Rechtsfindung war. Einer der Vordenker dieser Strömung war ein Mann namens aš-Šāfiʿī (767-819), der massgeblich dazu beigetragen hat, den ra’y aus der Methodik der Rechtsfindung auszuschliessen.

Wie Nasr Hamid Abu Zaid (1992, passim) schreibt, warf das nun ein ganz erhebliches Problem auf: Wenn muslimische Juristen nicht mehr von ihrer persönlichen Ratio Gebrauch machen sollten, würden sie auf viele Fragen keine Antworten mehr geben können. Abhilfe schaffen sollte nach aš-Šāfiʿīs Vorstellung daher die Prophetentradition, also die zu seiner Zeit angefertigten Sammlungen von Überlieferungen über Worte und Taten des Propheten.

Der arabische Begriff für Prophetentradition lautet “sunna”, wörtlich: “Tradition”; die einzelnen Überlieferungen nennen sich Hadithe und zusammen sind sie um ein Vielfacher umfangreicher als der Koran. Fanden die Rechtsgelehrten also im Koran keine Antwort auf eine Frage, konnten sie fortan die Hadithe zu Rate ziehen. Aš-Šāfiʿī selber ist Begründer einer der vier kanonischen Rechtsschulen im sunnitischen Islam, aber auch die anderen drei haben seine Programmatik übernommen.

Halten wir an dieser Stelle fest, welche tiefgreifenden Änderungen die muslimische, d.h. sunnitische Theologie seit aš-Šāfiʿī durchgemacht hat: Erstens wird das Individuum aus dem Rechtsfindungsprozess ausgeschlossen; diese soll nach streng wissenschaftlichen Prinzipien ablaufen. Zweitens soll eine Vielfalt an Auslegungen nach Möglichkeit reduziert werden.

Warum galt eine Vielfalt der Auslegungen als Problem? Dafür mag es mehr als einen Grund geben, aber zu dieser Ansicht beigetragen haben dürfte der Umstand, dass in Koran und Sunna Vielfalt allgemein nicht eben positiv konnotiert ist. So gibt es die Vorstellung, dass der Islam in 72 oder 73 Sekten zerfallen werde, von denen nur eine gerettet werde. (Schimmel 1995, S. 262) Der Islamwissenschaftler Tilman Nagel (2014, S. 349) urteilt: „Die Pluralität von Ansichten und Anschauungen ist laut Koran eine verhängnisvolle Folge der teilweisen oder vollständigen Abwendung von der Anleitung durch Allah, vom Wissen schlechthin.“

Was ist nun mit dem vielzitierten Hadith “Die Meinungsverschiedenheit in der Gemeinde ist eine Gnade” (iḫtilāfu l-ummati raḥmatun)? Der Korankenner Rudi Paret (1979, S. 524-5) hat schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass dieser Ausspruch des Propheten im völligen Widerspruch zum Koran steht, in dem Meinungsverschiedenheiten immer im Kontext von Spaltung, Abweichung, Verfälschung genannt werden. Auch in den Hadithen, wie Paret schreibt, hat “iḫtilāf”, Differenz, eine negative Bedeutung. Paret hat daher angenommen, dass in diesem speziellen Fall das Wort für “Gnade” (raḥma) verstanden werden müsse i.S.v. Nachsicht. Als Loblied auf die Meinungsvielfalt ist dieser Hadith bestimmt nicht zu verstehen.

Das ist der Hintergrund an Wissen, den man haben muss, um die Aussagen eines Klaus von Stosch einordnen zu können. Der Paderborner katholische Theologe, der sich als Verfechter eines interreligiösen Dialogs und einer komparativen Theologie einen Namen gemacht hat, behauptet (von Stosch 2016, S. 105), in der Rechtsfindung aller Schulrichtungen des sunnitischen Islam spiele das persönliche Urteil des Richters (raʾy) und damit “faktisch die Rechtsfortbildung im Sinne des römischen Rechts eine grosse Rolle.‟

Das ist doppelter Unsinn. Der ra’y ist ja, wie wir gesehen haben, aus der Rechtsfindung ausgeschlossen worden und das dürfte auch der Grund gewesen sein, warum, anders als im christlichen Kontext, das Römische Recht nie formell in den Islam inkorporiert wurde (Weiss 1991: 245). Irgendeine analoge Entwicklung, wie von Stosch sie hier vorschwebt, hat wohl kaum stattgefunden, wie es auch keinen muslimischen Justinian gegeben hat, der kraft seines Amtes Rechtstexte kompiliert, verbessert und überarbeitet hätte (Nagel 2012, S. 17, Bretone 1992, S. 253). Im Gegenteil sollten die Hadithe ohne Wie und ohne Erläuterung für wahr gehalten werden, wie es in einem Abriss der sunnitischen Doktrin aus dem 10. Jahrhundert heisst (Nagel 1994, S. 226).

Wenn von Stosch (2016: 106) zudem behauptet, dass einem Hadith zufolge die Meinungsverschiedenheit innerhalb der Gemeinde als „ein Zeichen göttlicher Barmherzigkeit‟ gelte, dann ist das, wie wir ebenfalls gesehen haben, eine mehr als fragwürdige Annahme, die offensichtlich interessengeleitet ist. Unsinnig ist auch die These (ebd., S. 106), wonach sich erst in der Moderne mit der Salafiyya eine fundamentalistische Strömung entwickelt habe, “die diese Meinungsvielfalt nicht mehr aushält.‟ Sie ist schon deshalb falsch, weil, wie oben gezeigt, die Meinungsvielfalt zu minimieren schon das Ziel der frühen sunnitischen Gelehrten war. Davon hat von Stosch aber keine Ahnung, in dessen Buch der Name aš-Šāfiʿī daher auch nicht ein einziges Mal vorkommt.

Geistiger Pate dieser These von der Unterdrückung der Meinungsvielfalt im Islam erst durch die Salafiyya der Neuzeit ist natürlich der Münsteraner Arabist Thomas Bauer, auf den von Stosch sich auch explizit beruft (ebd., S. 16, 114) und über dessen Machwerk “Die Kultur der Ambiguität” ich mich mehrfach eingehend geäussert habe. Von Bauer übernommen hat er auch die Behauptung (ebd., S. 150), dass es im ganzen Mittelalter keine Steinigung im Islam gegeben habe. Dass dies möglich, aber unwahrscheinlich ist, habe ich ebenfalls an anderer Stelle ausführlich dargelegt.

Wie von Stosch (ebd., S. 110-1) sonst noch tickt, beweist sein Appell an die Leserschaft: „Die Ziele der Scharia … könnten auch unsere westlichen Gesellschaften zu mehr Gerechtigkeit ermutigen. Wenn man … sich vergegenwärtigt, wie weit wir in Deutschland noch von einem ganzheitlichen Wachstumsbegriff entfernt sind, … dann wird sofort deutlich, wie gut es uns auch im Westen täte, wenn die Grundsätze der Scharia besser umgesetzt würden.‟

Der gute alte Kulturpessimismus mit seiner empiriefreien Larmoyanz über die Marktwirtschaft gehört zum ideologischen Grundinventar geisteswissenschaftlicher Fakultäten und ist unmittelbar anschlussfähig an den Islamismus. Da passt es gut ins Bild, dass von Stosch sich vor zwei Jahren nicht zu schade war, für sein Buch einen Preis des islamistischen Regimes in Teheran anzunehmen. Dort pflegt man ein ganzheitliches Ökonomieverständnis unter Leitung eines religiösen Führers – mit allem, was dazugehört.

So folgt dem wissenschaftlichen Bankrott der moralische auf dem Fusse. Wenn das interreligiöser Dialog ist, dann ist er vor allem eines: Für die Tonne.


Literatur

Naṣr Ḥāmid Abū Zaid. 1992. الامام الشافعي وتأسيس الايديولوجية الوسطية. Kairo: Sīnā.

Colin F. Baker. 2007. Qur’an Manuscripts: Calligraphy, Illumination, Design. London: The British Library.

Mario Bretone. 1992. Geschichte des römischen Rechts: Von den Anfängen bis Justinian. München: C.H. Beck.

Tilman Nagel. 2012. Zu den Grundlagen des islamischen Rechts. Baden-Baden: Nomos.

–– 2014. Angst vor Allah? Auseinandersetzungen mit dem Islam. Berlin: Duncker & Humblot.

Rudi Paret. 1979. Innerislamischer Pluralismus. In: Die islamische Welt zwischen Mittelalter und Neuzeit: Festschrift für Hans Robert Roemer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ulrich Haarmann und Peter Bachmann. Beirut und Wiesbaden: Franz Steiner, S. 523-9

Annemarie Schimmel. 1995. Die Zeichen Gottes: Die religiöse Welt des Islams. München: C.H. Beck.

Klaus von Stosch. 2016. Herausforderung Islam: Christliche Annäherungen. Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Bernard Weiss. 1991. Law in Islam and in the West: Some Comparative Observations. In: Islamic Studies presented to Charles J. Adams, hrsg. von Wael B. Hallaq and Donald P. Little. Leiden, New York, Kopenhagen und Köln: Brill.


Nachtrag 11. April 2020

Das angegebene Todesjahr von aš-Šāfiʿī war falsch und wurde von mir korrigiert (Angaben nach Kaḥḥāla).

Nachtrag 13. April 2020

Auf Twitter hat sich eine kleine Diskussion entspannt, wofür man immer dankbar ist.

Mitteilungen aus dem Denklabor (2) – Antisemitismus als Problem der Ideengeschichte

Vor einiger Zeit hatte ich das Buch “Globaler Antisemitismus” des Sozialwissenschaftlers Samuel Salzborn auf meinem Schreibtisch liegen und doch eine Menge darin gefunden, das die Lektüre zu einer angenehmen machte. Salzborn argumentiert recht unideologisch. Zwar steht er der Frankfurter Schule nahe, aber er vermeidet es, die Verbrechen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft der bürgerlichen Gesellschaft ans Bein zu binden.

Mit Hannah Arendt und Franz L. Neumann weist er darauf hin, dass völkische Vorstellungen auf die Herstellung einer homogenen Ordnung und gegen die bürgerlichen Nationalstaaten gerichtet waren, und attestiert dem (linken) Antiimperialismus und ihren Vordenkern Lenin und Mao, ein „völkisches Weltbild‟ zu haben und „im Kern ein antiemanzipatorisches Projekt‟ zu sein, das „objektiv mehr Gemeinsamkeiten mit rechten Weltbildern aufweist‟. Teile der postkolonialen Bewegung sind daher, wie Salzborn zutreffend festhält, zu Anhängern einer ethnopluralistischen Ideologie degeneriert, die sich darin mit der extremen Rechten trifft. (Soviel zum Thema Hufeisen-Theorie.)

Zuzustimmen ist Salzborn in seinem Urteil, dass Nationalismus nicht den Kern des Nationalsozialismus ausmacht, war dieser doch nicht national, sondern völkisch ausgerichtet, „so dass der antiimperialistische Antinationalismus letztlich dem Grundanliegen des nationalsozialistischen Antinationalismus entsprach: die modernen, liberalen Institutionen des Nationalstaates gering zu achten ihr die vormoderne Phantasie von Ethnien oder Völkern entgegenzustellen.‟ Zutreffend ist auch seine Feststellung, dass das moderne Prinzip der Staatsgrenze nicht nur ausgrenzende, sondern „im demokratischen Staat zu allererst eine emanzipative, integrative und freiheitliche Funktion‟ hat.

Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung eines Wissenschaftlers, der von ganz links kommt und sich heute klar und deutlich im bürgerlichen Lager positioniert. Ich will hier nicht im einzelnen auf das Buch eingehen, das soll hier keine Rezension werden, auch kleinere Mängel liessen sich nennen. Einen Kritikpunkt aber will ich erwähnen, weil er mir schon in anderen Publikationen des Autors aufgefallen ist.

Denn mag Salzborn auch im bürgerlichen Lager angekommen sein, so bedient er sich doch, wie oben angesprochen, für die Deutung des Antisemitismus immer noch aus dem Arsenal der Frankfurter Schule, obwohl seine eigenen Erkenntnis mit einer ganz anderen Theorie kompatibel wäre, die er aber nicht zu kennen scheint.

Die Frage ist doch: Warum gerade die Juden? Warum suchen sich Verschwörungstheoretiker nicht eine andere Gruppe als Objekt ihres Wahns? Man kann alle möglichen soziologischen oder psychologischen Theorien bemühen, aber die Frage: Warum gerade die Juden?, können sie nicht beantworten. Man kann die Frage überhaupt nur schwer beantworten, will man dem Antisemitismus nicht auf den Leim gehen, indem man sich seine Prämissen zu eigen macht.

Die Antwort liefert Eric Voegelin, der im Antisemitismus das gnostische Element herausisoliert hat, womit er überzeugend erklären kann, warum gerade die Juden zum Objekt so zählebiger Verschwörungstheorien werden konnten. Voegelin, von Hause aus Politikwissenschaftler, wird bis heute zuvörderst mit dem Schlagwort von den “politischen Religionen” in Verbindung gebracht und das tut auch Salzborn in seinem älteren Buch “Kampf der Ideen”. Es ist der Voegelin-Rezeption bis heute weitgehend entgangen, dass jener sich in einer späteren Phase seiner wissenschaftlichen Tätigkeit vom Deutungsmuster der “politischen Religionen” verabschiedet hat, um sich der Erforschung der Gnosis in der Geschichte zu widmen.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, so schreibt Voegelin, sei Ideenhistorikern immer klar gewesen, dass es ein gnostisches Kontinuum von der Antike bis in die Gegenwart gibt, woraus sich die Frage ergibt, warum dieser Forschungsstrang Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen ist. Voegelin erklärt dies mit dem Siegeszug der Natur- und Ingenieur- und mathematischen Wissenschaften während der Industriellen Revolution, der die Geisteswissenschaften dazu gebracht habe, sich methodisch diesen Wissenschaften anzunähern. Fortan kam es zu einem Aufstieg der empirischen Sozialforschung auf Kosten ideengeschichtlicher Forschung, was Voegelin für einen Irrweg hält.

Was also hat es mit der Gnosis auf sich? Die Gnosis, die antike Ursprünge hat, geht von einer Verschlechterung alles Irdischen aus, bedingt durch eine Entfremdung vom Göttlichen. Die Welt gilt dem Gnostiker als Ort des Verfalls und Rettung allein bringt ihm die reinigende Apokalypse, die alles Bestehende vernichtet, um seine Zukunftsvision Wirklichkeit werden zu lassen. Umberto Eco hat das Lebensgefühl des Gnostikers, dieses Hineingeworfen-Sein in eine ihm fremde Welt, trefflich beschrieben (Eco, “Die Grenzen der Interpretation”, S. 68-70).

Der Gnostiker will, sich als göttlichen Funken begreifend, zum Ursprung des Seins zurückkehren und die Welt von ihrem Grundübel befreien, das sich leicht mit dem Judentum identifizieren lässt. Schon die Hermetiker des Altertums kultivierten eine Art inneren Kampf zwischen Gut und Böse (s. Rüpke, “Pantheon”, S. 377). Das hat eine ganze Kette von Implikationen, wozu nicht zuletzt der Glaube an Verschwörungen gehört.

Hans Blumenberg hat einmal gesagt, die Gnosis habe “immer eine ganze Geschichte aus dem Keim der Metapher herausgezogen, ein ganzes System von Weiterungen und Erweiterungen, von Antworten auf Rückfragen und Nachfragen.“ (Blumenberg, “Theorie der Unbegrifflichkeit”, S. 80). Das wiederum hat der bereits erwähnte Umberto Eco literarisch in seinem Roman “Das Foucaultsche Pendel” zum Ausdruck gebracht, in dem er zeigte, wie jedes Geheimnis, gnostisch-hermetisch gedeutet, immer nur zu neuen Geheimnissen, Analogien und Querverweisen führt – eine Wahnwelt.

Um noch einmal auf Voegelin zurückzukommen: Dieser hatte die moderne Form der Gnosis vor allem in der Philosophie Hegels ausgemacht und definierte den Gnostiker als Fürsprecher eines Seins, das aus der Zukunft kommt. (“Wissenschaft, Politik und Gnosis”, S. 54, 57). Charakteristisch für die Neognostiker seiner Zeit sei ihre Neigung, Traum und Wirklichkeit zu vermischen. Anstatt in der Welt der Wirklichkeit zu handeln, griffen sie zu “magischen Operationen in der Traumwelt” (Voegelin, “Die neue Wissenschaft der Politik”, S. 234).

Wie sehr der Nationalsozialismus von der Gnosis durchdrungen war, hat der Philosoph und Religionshistoriker Harald Strohm (“Die Gnosis und der Nationalsozialismus”) gezeigt. Auch das Herrenmenschendenken ist gnostischen Ursprungs: „Die Gnosis ist nicht wie das Christentum eine Religion für die Sklaven, sondern eine Religion für die Herren”, schreibt Eco („Das Irrationale gestern und heute“, S. 20). Ich selbst habe mich dazu bzw. zum Verhältnis von Antisemitismus und Gnosis ausführlich in meinem Buch “Zwischen Religion und Politik” geäussert.

Salzborn scheint aber die gesamte Forschung zum Thema Antisemitismus und Gnosis unbekannt zu sein; jedenfalls glaube ich nicht, dass er sie nur deshalb nirgends erwähnt, weil er nichts von ihr hält. Das wäre, erstens, kein Grund, und zweitens schon deshalb nicht plausibel, weil er selbst von antisemitischen “Verschwörungsphantasien” einer vermeintlich “regredierten Welt” (S. 201) schreibt und damit eigentlich auf der richtigen Spur ist. Diese Leerstelle in seiner Publizistik ist jedenfalls recht irritierend.

So, damit ist dieser Beitrag viel länger geworden als geplant, wo ich hier doch nur einige Fundstücke und Gedanken zum Besten geben wollte! Vielleicht wird er ja dennoch goutiert.

Mitteilungen aus dem Denklabor (1)

Dank Corona sitzen also viele von uns zuhause und manch einer fragt sich, wie er es aushalten soll. Das geht mir genauso, weil das Minimum an sozialen Kontakten, mit dem ich derzeit auskommen muss, auf das Gemüt drückt, auch wenn ich wohl soviele private Mitteilungen wie noch nie über WhatsApp, FB und per Email erhalte.

Immerhin, Langeweile habe ich keine und Arbeit ist genug da. Neben meiner Leidenschaft für das Wing Tsun bin ich auf meine Publikationsprojekte konzentriert, aber auch auf die Lektüre zahlreicher Bücher, für die ich noch keine Zeit gefunden habe. Letzteres kommt auch daher, dass ich vor einiger Zeit eine grössere Bücherschenkung erhalten habe und während normalerweise ein Buch erst dann ins Regel wandert, wenn ich mich eingehend mit ihm beschäftigt habe, war das in diesem Fall nicht möglich.

Dazu waren es einfach zu viele. Extra Regale mussten angeschafft und die vielen Titel vorläufig eingeräumt werden, bevor ich sie mir vornehmen kann. Dabei handelt es sich fast ausschliesslich um akademische Bücher, darunter viele auf Arabisch.

Einige Titel …
… aus der Schenkung.

Ich werde daher auf diesem Blog in loser Folge über meine Publikationsprojekte berichten sowie Fundstücke aus meiner Lektüre präsentieren, gelegentlich garniert mit ein paar Gedanken meinerseits. Vielleicht goutiert meine Leserschaft auch ein paar Ausführungen zu Wing Tsun wie auch zu einigen anderen Themen – und wie wieder einmal alles mit allem zusammenhängt.

Also, bleiben Sie dran!

VHS Essen im Fadenkreuz der Propaganda

Propaganda für die Islamische Republik ist in Deutschland ubiquitär. Kaum eine Zeitung, kaum ein Fernsehsender, der frei davon wäre. Als Leser oder Zuschauer springt einem allenthalben die typische Sicht der sog. “Reformer” auf die politische Situation Irans entgegen, verbunden mit der – manchmal explizit, manchmal implizit erhobenen – Forderung, der Westen müsse die Islamische Republik stützen, da sonst die Hardliner an die Macht gelangten.

Die Islamische Republik, das muss hier nicht eigen betont werden, ist eine brutale Diktatur mit einer selbst für nahöstliche Verhältnisse erschreckenden Menschenrechtsbilanz, zu dessen Selbstverständnis es gehört, die Islamische Revolution zu exportieren und vor allem: Israel jegliches Existenzrecht abzusprechen. Die Unterstützung für Terrorgruppen wie die Hisbollah wie auch die Entwicklung eines Raketenarsenals mit angehängtem Atomwaffenprogramm machen deutlich, dass es hierbei nicht um blosse Rhetorik geht.

Man muss das leider immer wieder erwähnen, weil die Schwemme der “Reformer”, Iranversteher, Gutgläubigen und Dialogbewegten längst eine kritische Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit über das Wesen des klerikal-islamischen Regimes erstickt hat. Iranische Regimegegner, die für ihr Heimatland nichts als eine säkular-liberale Demokratie wünschen, erhalten nur wenige Plattformen für ihr Anliegen und werden weithin marginalisiert.

Besonders toll treibt es die VHS Essen. Diese arbeitet schon seit Jahren mit dem “Essener Friedensforum” zusammen, mit der gemeinsam sie Redner für Abendvorträge gewinnt, gerne zu den Themen Israel und Iran. Der Tenor ist immer derselbe: Viel Verständnis für die Islamische Republik, umso weniger für Israel. Kürzlich hat die VHS, wieder im Verein mit dem “Friedensforum”, den Vogel abgeschossen, als sie Hossein Pur-Khassalian für einen Vortrag zum Thema “Iran im Fadenkreuz der Machtpolitik” ankündigte.

Der Mann ist Iraner, allerdings kein Fachmann für die Politik und Gesellschaft Irans. Einen solchen hat man mit Dr. Mahmoud Rambod schon längst an der VHS unter Vertrag. Rambod, der auch am Zentrum für Islamische Theologie in Münster unterrichtet, ist freilich ein säkularer Demokrat und kein Anhänger der Islamischen Republik, die er auch für reformunfähig hält. Damit kommt er als Referent für einen Abendvortrag an der VHS nicht infrage. Dort bevorzugt man andere Kaliber.

Hossein Pur-Khassalian hat als Urologe gearbeitet, aber vor allem ist er ein Verteidiger des Regimes. Damit kann man es bei der VHS Essen weit bringen. In einem von ihm mitverfassten Online-Artikel von Anfang 2019 stellt Pur-Khassalian unter dem Titel “Inszenierte Feindschaft” erstaunliche Behauptungen auf, mit denen er seine deutsche Leserschaft – man kann es nicht anders formulieren – offenbar verulken will.

So stellt er sein Heimatland Iran als quasi säkulare Demokratie dar, weil der Anteil des Klerus im sog. “Parlament” (maǧles-e šūrā-ye eslāmī) mit jeder Legislaturperiode abgenommen habe. Begriffe wie “Mullah-Staat” oder “Gottesstaat” empfinde er als Beleidigung. Dabei weiss selbst der durchschnittliche deutsche Zeitungsleser, dass es in der Islamischen Republik einen religiösen Führer (rahbar) namens Khamenei gibt, der die Geschicke des Landes massgeblich lenkt und der einzig durch einen sog. Expertenrat (maǧles-e khobregān) legitimiert wird. Zudem gibt es einen sog. “Wächterrat” (šūrāy-e negahbān), der sicherstellen soll, dass jedwede Gesetzgebung im Einklang mit der Verfassung und damit dem Islam zwölferschiitischer Prägung steht.

Wenn es etwas gegen den Begriff “Mullah-Staat” auszusetzen gibt, dann die Tatsache, dass “Henkerstaat” angesichts der exorbitanten Menschenrechtsverletzungen angemessener wäre. Für Pur-Khossalian aber ist das kein Thema, vielmehr verteidigt er die Islamische Republik als eine Kraft im Kampf gegen den Terrorismus. Nicht nur damit liegt er ideologisch auf einer Linie mit Khamenei: Der pensionierte Urologe verteidigt sogar die Hisbollah, die gar keine Terrororganisation sein könne, weil sie als demokratisch gewählte Kraft ins libanesische Parlament eingezogen sei.

Eine bestechende Logik: Eine Terrororganisation kann keine sein, sobald sie in ein Parlament gewählt wird. Demnach kann auch die NPD keine Nazipartei sein, weil sie es 2004 und 2009 geschafft hat, ins sächsische Landesparlament einzuziehen. Der Grund, warum der Libanon keine echte Demokratie darstellt, kommt dem Urologen gar nicht in den Sinn: Es ist die Hisbollah, die nicht nur eine Terrororganisation ist, sondern innerhalb des Libanon auch einen Staat im Staate darstellt. Wäre es anders, könnte man den Libanon als (neben Israel) zweite Demokratie im Nahen Osten betrachten.

Pur-Khassalian ist wahrscheinlich auch der Verfasser eines Leserkommentars unter einer Meldung der iranischen “Ensaf News”. In dem Kommentar bekundet sein Verfasser die Sorge, dass Ajatollah Mohammad Yazdi der Islamischen Republik Schaden zufügen könnte, wenn er nicht von seinem Amt im Wächterrat zurücktrete. Hintergrund war, dass Yazdi dem amtierenden Präsidenten wegen seiner vermeintlichen Untätigkeit im Amt mit den Worten kritisiert hatte: “Wenn du nicht arbeiten kannst, dann geh!”, weswegen er den Rückhalt des Expertenrats verlor. War der Verfasser dieses Leserkommentars wirklich unser Urologe, dann zeigt dies abermals seine ideologische Linie.

In jedem Falle ist sein Feindbild der Westen, vor allem die USA und Israel. Da darf natürlich die Geschichte um den 1953 gestürzten Ministerpräsidenten Mossadegh nicht fehlen, dem Standard-Topos aller Verteidiger der Islamischen Republik, obgleich in der Geschichtsforschung der Sturz Mossadeghs kontrovers beurteilt wird. Damit kennt der Urologe sich freilich nicht aus, der sich stattdessen mit der Lektüre eines einzelnen Buches zufriedengibt. Dessen Autor heisst Michael Lüders, über dessen Titel “Armageddon im Orient” im mich an anderer Stelle geäussert habe.

Beim Youtube-Kanal “NuoViso”, einer rechtspopulistischen Plattform, die auch Fake-News verbreitet haben soll, kann Pur-Khassalian unwidersprochen behaupten, die Islamische Republik habe das Bildungswesen und die Infrastruktur verbessert und es sei der Westen, der keine Demokratie in Iran wolle. Er zeichnet das Bild einer iranischen Gesellschaft, die allen Anfeindungen des Westens zum Trotz sich stetig entwickelt habe. Das ist Desinformation.

In Wahrheit haben die Anhänger Khomeinis das Land kaputt gemacht und mit Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaat soviel wie zu tun wie ein Frosch mit einem Meteorologen. Die Islamische Republik aber ist bei Pur-Khassalian wie auch bei Lüders – ungeachtet seiner aggressiven Aussenpolitik und seiner Drohungen, Israel zu vernichten – immer das Opfer. So gehört Pur-Khassalian zu den Unterzeichnern eines an die Bundesregierung gerichteten offenen Aufrufs, einen drohenden Krieg gegen den Iran zu verhindern. Dieser Aufruf entlastet nur das Regime und verschleiert dessen menschenfeindlichen und antiisraelischen Charakter.

Mit all dem hat man an der VHS Essen kein Problem. Da passt es gut ins Bild, dass demnächst Andreas Zumach, ein antiisraelischer Aktivist, dem die elementarsten Zusammenhänge in Bezug auf Israel und den Nahen Osten unbekannt sind, demnächst – wieder in Kooperation mit dem “Friedensforum” – als Referent an der VHS Essen sein Unwesen wird treiben dürfen. Nicht nur, dass solchen Leuten mit Steuergeldern eine Bühne geboten wird, es werden offenbar überhaupt nur solche Gestalten dorthin eingeladen – zum Hohn all derer, die sich in Iran und anderswo für die Menschenrechte einsetzen.

Woher der muslimische Antisemitismus kommt

Na, das kann ja was werden, dachte ich. Diskursanalyse nach Siegried Jäger? Das ist eine von diesen neomarxistischen Theorien, die an den Universitäten schon genug Unheil angerichtet haben. Jäger glaubt, dass wir, weil die der Wirklichkeit keine Wahrheiten entnehmen können, sondern sie immer nur auf der Grundlage unseres eigenen Wissens deuten, Wissenschaft „immer schon politisch‟ sei. Kein guter Start.

Dennoch ist die Abschlussdokumentation des Projekts „Extreme Out‟ eine respektable Leistung geworden. Erkennt man meist schon an der Literaturliste, wo die Verfasser politisch stehen, so ist dies hier nicht der Fall. Vielmehr greifen die Autoren ganz unterschiedliche Standpunkte auf und vermeiden die Nähe zu einem bestimmten politischen Lager.

Warum in den Medien der Mythos umhergeht, die Autoren würden den muslimischen Antisemitismus als direkte Folge der Diskriminierungserfahrungen von Muslimen deuten, bleibt mir ein Rätsel. Selbst die renommierte „Jüdische Allgemeine‟ verbreitet diesen Unsinn. Tatsächlich heisst es in der Dokumentation:

“Viele Jugendliche rechtfertigen ihre antisemitischen und menschenfeindlichen Einstellungen dadurch, das sie durch die zunehmende Islamfeindlichkeit selbst abgewertet und diskriminiert werden.”

“Extrme Out”, S. 151

Hier wird also eine Einstellung unter muslimischen Jugendlichen wiedergegeben und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Autoren der Dokumentation sie sich zu eigen machen. Vielmehr schreiben sie von Sündenbockfunktion und Opferneid, die hier zum Ausdruck kommen. Das ist plausibel und meilenweit davon entfernt, den Antisemitismus unter Muslimen als alleinige Folge von Ausgrenzungserfahrungen zu deuten.

Das heisst nicht, dass man an der Dokumentation nicht einiges kritisieren könnte. Die Autoren gehen zwar der Frage nach, welchen Judenbild Koran und Sunna haben, verpassen es jedoch, auch die Prophetenvita (Sira) unter die Lupe zu nehmen. Massgeblich zu nennen ist hier die Forschung von Maghen (2006), der gezeigt hat, dass das Judentum dort wie auch in anderen klassischen muslimischen Texten als Anti-Religion par excellence dargestellt wird.

Maghen, das sei an dieser Stelle betont, zeichnet dabei keineswegs ein düsteres Bild vom Islam, sondern macht deutlich, dass das Judentum vor allem als Kontrastfolie für einen Islam herangezogen wurde, der den Anspruch hatte, in Hinblick auf die religiösen Vorschriften des Gläubigen weniger streng zu sein. Das Judentum der Sira und anderer frühen Texte ist also nicht mit dem realen Judentum zu verwechseln. Irgendeine Art von eliminatorischem Judenhass findet sich dort nicht.

Dieser ist ein später Import aus Europa, da haben die Autoren der Dokumentation recht. Allerdings ist die Benutzung des Judentums als Kontrastfolie für den Islam auch nicht unbedingt geeignet, ein unvoreingenommenes Bild von den Juden der damaligen Zeit zu entwickeln. Auch wenn es in der islamischen Welt keine solche Diskrimierungen und Übergriffe gegen Juden gegeben hat wie in Europa, so haben die Autoren der Dokumentation fraglos recht, wenn sie (wenngleich lediglich auf Koran und Sunna gemünzt) konstatieren, dass „sich für antisemitische Diskursstränge Anknüpfungsmöglichkeiten‟ bieten.

Der Aufsatz von Reinkowski (2011), in dem der Autor den Ursprüngen moderner antisemitischer Verschwörungstheorien iim Osmanischen Reich nachgeht, wie auch der Frage, warum derlei noch heute so populär ist, blieb allerdings in der Dokumentation unberücksichtigt. Einiges davon kann man auch im Kapitel “Die grosse Verschwörung” (Kreutz 2013) nachlesen: Vor allem im griechischsprachen Teil des Osmanischen Reiches waren Juden Schikanen ausgesetzt gewesen und mussten Übergriffe durch ihre christlichen Nachbarn fürchten.

An anderer Stelle zitieren die Autoren Bernard Lewis, wonach die islamischen Geschichte immer wieder “Perioden strikter, militanter Orthodoxie” erlebt habe. Lewis steht mit dieser These nicht alleine da, aber es gibt jemanden, der sie noch besser begründet hat, nämlich Ira M. Lapidus (1992), einer der besten Kenner der muslimischen Sozialgeschichte. Dass der Koran vielfach die Neigung aufweist, „die Welt eher hinzunehmen und zu modifizieren als sie radikal herauszufordern und zu verwandeln“ (Lapidus) steht im engen Zusammenhang mit dem Auftreten solcher, von Lewis beschriebenen Perioden. Lapidus selbst hat die islamistischen Bewegungen der Gegenwart als Teil eines grossen Kontinuums gesehen und nicht als etwas, das erst im frühen 20. Jahrhundert seinen Anfang genommen hat.

Das gilt auch für manche Aspekte des muslimischen Verhältnisses den Juden gegenüber. Das erste bekannte Edikt, das Juden verpflichtete, gelbe Kleidung zu tragen, wurde immerhin schon 849 verkündet (Goitein 1974, Schimmel 1995). Schon früh kam auch das Gerücht auf, die Schia sei die Gründung eines Juden namens ʿAbdallāh b. Sabaʾ. Wir finden diese Behauptung z.B. bei Ibn Taymiyya (14. Jhd.), für den die Schia überhaupt nur eine Mischung aus Judentum, Christentum und ġulūw (Übertreibung, vgl. Q 4:71, 5:77) ist – letzteres ein Begriff, der auch synonym für die Schia insgesamt benutzt wird (Friedman 2010). Die Juden als Spalter lässt sich als Motiv also schon lange vor irgendeinem europäischen Einfluss nachweisen.

Ironischerweise nehmen die Juden, ebenfalls negativ konnotiert, einen festen Bestandteil in der schiitischen Eschatologie ein. Nicht nur ist das Erscheinen des Mahdī, des „Rechtgeleiteten‟ und Wiederherstellers der Religion vor dem Jüngsten Gericht, an den Kampf um Jerusalem geknüpft. (Ourghi 2008) Auch der Daǧǧāl, der apokalyptische Gegenspieler des Mahdī, wird meist als einäugiger Jude von groteskem Aussehen beschrieben. (McCants 2015) Das erinnert schon sehr an modernen europäischen Antisemitismus.

Natürlich liesse sich noch weitere Literatur nennen und klar ist auch, dass soviel Fachliteratur zur islamischen Geschichte, zum Thema Islam und Minderheiten sowie Islam und Extremismus existiert, dass ein einzelner sie schon längst nicht mehr überschauen kann. Dennoch hätte hier etwas gründlicher recherchiert werden können. Ankreiden kann man auch, das Koranzitat vom nicht vorhandenen Zwang in der Religion aus dem Zusammenhang gerissen zu haben.

Letztlich aber man muss die Autoren dennoch dafür loben, dass sie sich um eine ideologiefreie Herangehensweise an ein politisch stark aufgeladenes Thema bemüht haben.


Literatur

Yaron Friedman. 2010. The Nuṣayrī-ʿAlawīs: An Introduction to the Religion, History and Identity of the Leading Minority in Syria. Leiden und Boston.

Shlomo D. Goitein. 1974. Jews and Arabs: Their Contacts Through the Ages. New York.

Michael Kreutz. 2013. Das Ende des levantinischen Zeitalters: Europa und die Östliche Mittelmeerwelt, 1821-1939. Hamburg.

Ira M. Lapidus. 1992. „Islamisches Sektierertum und das Rekonstruktions- und Umgestaltungspotential der islamischen Kultur“, in: Kulturen der Achsenzeit, Bd. II: Ihre institutionelle und kulturelle Dynamik, Teil 3: Buddhismus, Islam, Altägypten, westliche Kultur, hrsg. von Shmuel N. Eisenstadt. Frankfurt/Main, 161-88.

Ze’ev Maghen. 2006. After Hardship Cometh Ease: The Jews as Backdrop for Muslim Moderation. Berlin und New York.

William McCants. 2015. The ISIS Apocalypse: The History, Strategy, and Doomsday Vision of the Islamic State. New York.

Mariella Ourghi. 2008. Schiitischer Messianismus und Mahdī-Glaube in der Neuzeit. Würzburg.

Maurus Reinkowski. 2011. „Zionismus, Palästina und Osmanisches Reich: Eine Fallstudie zu Verschwörungstheorien im Nahen Osten‟, in: Judaism, Christianity and Islam in the Course of History: Exchange and Conflicts, hrsg. von Lothar Gall und Dietmar Willoweit. München, S. 93-104.

Annemarie Schimmel. 1995. Die Zeichen Gottes: Die religiöse Welt des Islams. München.

Neuerscheinung: The Renaissance of the Levant

Es ist doch immer wieder schön, eine neues Buch in Händen zu halten, das den eigenen Namen trägt. Gestern kamen dann meine fünfzehn Autorenexemplare per Post.

Das Thema sind die Diskurse griechischer und arabischer Reformdenker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – eine ungemein faszinierende Zeit, in der die Ursachen für viele Probleme liegen, die die Länder im östlichen Mittelmeerraum heute plagen.

Das bedeutet auch, dass ost- und südosteuropäische Länder wie Griechenland, heute in mehrfacher Hinsicht den arabischen Ländern ähnlicher sind als den westeuropäischen Ländern. Das Osmanische Reich hat Auswirkungen, die bis heute spürbar sind.

Es macht daher wenig Sinn, Europa wie einen Monolithen zu behandeln. Auch und gerade die Postkolonialisten haben mit dieser Sichtweise keineswegs gebrochen, sie haben sie nur umgekehrt, indem sie die kulturelle Eigengesetzlichkeit nahöstlicher bzw. westasiatischer Ländern gegenüber einem expansiven “Europa” verteidigen.

Viele Ideen waren damals aber auch fortschrittlicher und aufgeklärter, als viele sich das heute vorstellen mögen. Daraus lassen sich durchaus Anregungen für die Lösung gegenwärtiger Probleme gewinnen.

Die Publikation schliesst sich an meine beiden Bücher Arabischer Humanismus in der Neuzeit (2007) und Das Ende des levantinischen Zeitalters (2013) an, führt manche Gedanken fort und erschliesst dabei neue Quellen.

Eine Kaufempfehlung kann ich natürlich nicht so ohne weiteres aussprechen, weil das recht kompakt geratene Buch für den Normalleser viel zu teuer ist. Aber vielleicht hat der eine oder andere die Möglichkeit, ein Exemplar für die Universitätsbibliothek in seiner Stadt anzuschaffen. Das würde mich freuen.

Ansonsten blicken wir gespannt auf die nächste Bucherscheinung unter dem Titel Reformation im Islam, die aktuell (der Termin hat sich mehrfach verschoben) für den 13. Juni vorgesehen ist.

Ein Rückblick auf die Thesen von Günter Lüling

Dass ich mit mit den Theorien von Günter Lüling beschäftigt habe, ist schon Jahre her. Natürlich ist die Idee eines Ur-Koran faszinierend, von den Implikationen ganz zu schweigen. Lüling nahm an, dass Vertreter des Judenchristentums sich vor dem entstehenden hellenistisch-römischen Imperiums-Christentum auf die arabische Halbinsel gerettet haben, wo ihre Glaubensüberzeugungen gewissermassen arabisiert worden seien. (Über den Ur-Qur`ān, Erlangen 1974, S. 403-5; Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad, Erlangen 1981, S. 75).

Dabei berief sich Lüling auf die ältere Forschung von Julius Wellhausen, der behauptete, dass die ersten, die das Arabische als Schriftsprache gebrauchten, Christen waren, die in ihr eine eigene Poesie niederschrieben. Diese soll dann das Substrat gebildet haben, aus dem der Koran hervorging. Doch weil die Anhänger des Islam kein Interesse daran hatten, Zeugen für den christlichen Ursprung des Koran zu konservieren, soll besagte Poesie vollständig untergegangen sein. (Über den Ur-Qur`ān, S. 145)

Man wird das Gefühl nicht los, dass das alles ein bisschen wie Erich von Däniken klingt. Je stärker aber eine These ist, desto besser sollte sie begründet sein.

Lüling wollte den Koran keineswegs abwerten. Er selbst verstand seine Arbeit zwar als Kritik am Koran, aber “als eine gegenüber dem Islam denkbar positive.” Ablehnend stand er vielmehr der gängigen Vorstellung von einem christlichen Abendland gegenüber, das einen Alleinvertretungsanspruch auf die christliche Geschichte erhebt. Das bildete den Ausgangspunkt für seine vermeintliche Rekonstruktion des koranischen Textes. (Über den Ur-Qur`ān, S. 176)

Allerdings ist vieles spekulativ und man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass manches doch recht weit hergeholt ist. Im folgenden einige Beispiele (einfache Arabischkenntnisse vorausgesetzt):

1 – Lüling (Über den Ur-Qur`ān, S. 273) behauptet, dass in Koran 26:86, wo es heisst واغفر لابي [wa-ġfir li-abī] = „und vergib meinem Vater“, ursprünglich geheissen haben müsse واغفر لي ابي [wa-ġfir lī abī] = „und vergib mir, mein Vater“. Das hat mir ein Stirnrunzeln verursacht. Denn fehlt da nicht die Anrufungspartikel (يا)? Lüling spricht von einer altarabischen Koine, in der der Ur-Koran verfasst worden sei und wenn es diese Koine jemals gegen haben sollte, wäre natürlich denkbar, dass sie keine Anrufungspartikel kennt oder benötigt. Allerdings äussert sich Lüling dazu nicht, er setzt dies einfach voraus.

2 – Nach Lüling (Über den Ur-Qur`ān, S. 308) muss Koran 55:5-6, wo es heisst: الشمس والقمر يسبحان ganz anders, nämlich als والنجم السحر يسجدان gelesen werden. Dann kann سحر allerdings kein Substantiv sein, muss also adjektivisch saḥir gelesen werden. Lülings Argumentation ist merkwürdig: Er selbst übersetzt النجم السحر mit „Morgenstern“, für den er, wie er selbst sagt, bislang keinen Beleg in der christlich-arabischen Literatur finden konnte. Ist das solide Wissenschaft?

3 – Des weiteren behauptet Lüling, die Bezeichnung ummī für den Propheten werde falsch übersetzt. Eigentlich heisst der Begriff “Analphabet” und wird in der islamischen Tradition so verstanden, dass der Prophet, weil er des Lesens und Schreibens unkundig war, die Offenbarung auch nicht habe verfälschen können. Analphabet gewesen zu sein erhöht also seine Glaubwürdigkeit. Jetzt kommt Lüling (Über den Ur-Qur`ān, S. 346) und behauptet, ummī sei mit “national” zu übersetzen, insofern als der Prophet versucht habe, die Schrifttradition lokal zu beheimaten. Belege hierzu liefert Lüling keine.

Weitere Beispiele liessen sich nennen. Einige seiner Anhänger haben das Gerücht in die Welt gesetzt, dass Lüling deshalb die wissenschaftliche Karriere versagt geblieben war, weil seine Erkenntnisse die Orientalistik/ Islamwissenschaft aus den Angeln gehoben haben. Dass die Ablehnung seiner Thesen sachliche Gründe haben könnte, wollen nicht alle akzeptieren.

Tatsächlich würde hier gar nichts aus den Angeln gehoben, selbst wenn Lüling recht haben sollte. Denn für die Islamwissenschaft relevant bleibt der überlieferte, nicht irgendein rekonstruierter Koran, weil die ganze Theologie auf jenem aufbaut, nicht auf diesem. Hätte Lüling recht, würde das zwar ein ganz neues Licht auf die Anfänge des Islam werfen, aber die Theologie berührt es nicht, weil sie den Koran nur so kennt, wie er überliefert ist.

Es gibt einen lesenswerten Aufsatz zum achtzigsten Geburtstag von Günter Lüling und den islamwissenschaftlichen Betrieb an deutschen Universitäten, deren Verfasserin offenbar über Insiderkenntnisse verfügt. Über die methodischen Mängel seiner Thesen kann der Aufsatz aber nicht hinwegtäuschen.

Ein jüngst erschienener Sammelband widmet sich nun dem Lüling’schen Werk. Darin findet sich der (frei zugängliche) Aufsatz des Judaisten Holger Zellentin, der meine Vermutung bestätigt, dass Lülings Thesen einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten.

Zellentin führt gute Argumente ins Feld. Lülings Prämissen sowohl der Poesie als auch der christlichen Theologie sind auf Sand gebaut. Seine Thesen basieren auf einem Zirkelschluss: Sie bestätigen immer nur, was vorab schon angenommen wird. Solange ausserkoranische Befunde sie nicht stützen, stellen sie nicht mehr als eine Fussnote der Wissenschaftsgeschichte dar.

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