Vor vierzehn Jahren, im Jahre 2011, habe ich anlässlich seines vorzüglichen Buches «Religio duplex» dem Kulturwissenschaftler Jan Assmann einen Brief geschrieben, den ich dieser Tage per Zufall wiederentdeckt habe.
Ich habe damals sogar eine Antwort erhalten, die ich, da vertraulich, nicht posten werde. Aber meinen Brief will ich gerne hier einstellen. Assmann ist im Februar 2024 verstorben.
Betr. ›Religio duplex‹
Sehr geehrter Herr Dr. Assmann,
gestatten Sie mir ein paar freimütige Anmerkungen zu Ihrem Buch ›Religio duplex‹, dessen Lektüre mir viel Freude bereitet hat. Natürlich lässt sich bei einem so anspruchsvollen Thema, wie Sie es in Ihrem Buch behandelt haben, immer das eine oder andere hinzufügen, dennoch erlaube ich mir, auf zwei Pointen hinzuweisen, von denen ich glaube, dass sie Ihr Interesse finden mögen.
In Giordanos Brunos Roman »Vertreibung der triumphierenden Bestie« (›Spaccio de la Bestia Trionfante‹, 1584) gibt es im Zweiten Dialog »Das Wesen der Wahrheit« einen Abschnitt über »Ägyptische Weisheit und das Wesen der Magie«, in dem Saulin sagt (ich zitiere aus der deutschen Übersetzung von Kuhlenbeck 1904, 225):
»Von hier scheint die Kabbala der Hebräer ihren Ausgang genommen zu haben; denn mag dieselbe auch ihren ganz besonderen Geistescharakter an sich tragen, jedenfalls stammt sie doch von den Ägyptern, bei welchen Moses in die Lehre ging.«
Das Bemerkeneswerte am ›Spaccio‹ ist jedoch vor allem seine Wirkungsgeschichte, insofern als er eine nicht zu unterschätzende Rolle für John Toland spielte. Zusammen mit Anthony Collins und weiteren Gleichgesinnten traf sich Toland im Londoner Grecian Coffee House, um gemeinsam Brunos Werk zu lesen, das für Toland so etwas wie eine programmatische Schrift bedeutete. Jedenfalls gab er als politischer Denker einem von Bruno vorgeformten Republikanismus pantheistische Weihen.
Die Pointe bildet nun der Umstand, dass Toland zur Führungsriege einer proto-freimaurerischen Geheimgesellschaft in Den Haag namens »Knights of Jubilation« (Chapitre General des Chevaliers de la Jubilation) gehörte, deren Kern offenbar im Lesezirkel des Grecian Coffee House zu suchen ist!
Toland war auch sonst das, was man heute einen Netzwerker nennen würde: Er trennte sich selbst auf seinen Reisen nicht vom ›Spaccio‹, so als er 1702 den europäischen Kontinent bereiste, wo er u.a. am preussischen Hof Königin Sophie Charlotte traf. Seine Wirkungsgeschichte ist sicherlich noch nicht restlos erforscht. Möglicherweise gibt es auch einen bis zu Johann Salomo Semler (1725-1791) reichenden Nachhall, der freilich einer späteren Generation angehört.
Der protestantische Theologe Semler hatte den Begriff der »Privatreligion« (religio privata) geprägt, der eben »nicht an die symbolischen Bücher gebunden« sei (›Theologische Briefe.‹ Erste Sammlung. Leipzig 1781, S. 157 f.). Offenbar versuchte er einen Mittelweg zwischen Deismus und Offenbarungsglauben ganz im Sinne einer ›Religio duplex‹ zu finden. Das eigentlich Interessante in diesem Zusammenhang: Auch Semler gehörte zum Kreise derer, die sich philosophisch mit dem alten Ägypten beschäftigten.
In seiner 1748 erschienenen Schrift »Erleuterung der egyptischen Altertümer, durch Uebersetzung der Schrift Plutarchs von der Isis und dem Osiris und der Nachricht von Egypten aus Herodots zweitem Buch mit beigefügten Anmerckungen« heisst es z.B.:
»Bey der Seele nun, ist die Vernunft und der Verstand, Osiris, der Urheber und Herr alles Guten.« (ibid. 50.) »Deswegen ist höchstnötig, daß wir die Vernunft und Weltweisheit zu Rathe ziehen, als einen geistlichen Lehrmeister …« (ibid. 68).
Semler war von Spencer und Barrington beeinflusst und steht am Anfang einer eigenen, noch unzureichend erforschten Rezeptionsgeschichte, die bis zu Wilhelm Traugott Krug und Friedrich Schlegel reicht. Es dürften noch einige interessante Querverbindungen ihrer Entdeckung harren und auch die Verbindung der Ägypten-Rezeption zum politischen Hebraismus. Letzterer bildet einen Themenkomplex, der erst jetzt allmählich in Umrissen sichtbar wird wird (s. die Forschung von Oz-Salzberger, Hazony, Nelson et al.).
Ich jedenfalls wünschen Ihnen noch weitere fruchtbare Erkenntnisse und daran sich anschliessende Publikationen auf diesem so überaus spannenden Feld.
Mit besten Grüssen,
Ihr Michael Kreutz
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