Writing East and West

Tag: Islam Page 3 of 4

Mission vs. Mission

Die Mission im Islam ist ein zwiespältiges Phänomen, insofern als sie dem Koran eher fremd ist. Das arabische Wort für Mission, daʿwa, taucht zwar einige Male dort auf, doch nicht in dieser Bedeutung. Dennoch hat der Begriff daʿwa im Sinne von Mission eine längere Vorgeschichte und wird z.B. vom Historiker Ibn Khaldun als eines der Mittel bezeichnet, mit denen man ein neues Imperium gründet. Auch finden sich schon seit früher Zeit immer wieder meist heterodoxe Gruppen im Islam, die daʿwa betrieben haben.

Mythos Wüstenreligion

Ich urteile grundsätzlich nicht über Bücher, die ich nicht gelesen habe. Aber hier weckt allein der Titel Zweifel an der Kompetenz des Autors: „Mohammed – Revolution aus der Wüste‟ heisst das Buch, verfasst von einem niederländischen Wissenschaftsjournalisten namens Marcel Hulspas.

Islam, Zivilgesellschaft und Reformation

Kürzlich war ich auf zwei Tagungen des Muslimischen Forums Deutschland (MFD), eine in Bad Honnef und eine in Hamburg, die in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und im ersten Falle auch noch mit der Evangelischen Kirche in Rheinland stattfanden. Dabei ging es um den Islam, die Zivilgesellschaft und die Reformation und was mir sehr angenehm auffiel, war, dass dort fast nur Leute, sowohl unter den Referenten als auch im Publikum, zugegen waren, mit denen man ohne die üblichen ideologischen Scheuklappen, wie man sie aus dem universitären Milieu kennt, kritisch über den Islam diskutieren konnte.

Gerade an den Universitäten nämlich hat sich eine Atmosphäre der Intoleranz breitgemacht, die jeden Ansatz einer kritischen Betrachtung des Islam als anstössig verwirft. Stattdessen herrscht die grosse Gleichmacherei: Entweder sind alle Religionen gleichermassen gewaltaffin oder gar keine Religion, sind alle gleichermassen modern oder gleichermassen reformbedürftig – sobald es um eine globale Betrachtung geht, wird Differenzierung wenig goutiert. Es spricht für das MFD, dass von den Verantwortlichen eine kritische Herangehensweise an den Islam nicht verurteilt wird, sondern geradezu erwünscht ist, solange dies mit aufklärerischer Intention geschieht und nicht einer Diffamierung des Islam Vorschub leistet.

Auf beiden Tagungen bildeten Muslime übrigens mindestens die Hälfte der Anwesenden und auch wenn deren Zahl recht klein war (nicht mehr als dreissig), so wurde doch einmal mehr deutlich, dass es fortschrittliche Kräfte in der muslimischen Community gibt, die die ewige Islamapologetik satt und vielmehr begriffen haben, dass selbst eine prononcierte Kritik am Islam nicht zu dessen Untergang führt, sondern eine Herausforderung darstellt, an der die Community wachsen kann.

Immerhin gibt es schon längst eine umfassende Kritik am Christentum und keineswegs nur an dem, was die Kirche oft in dessen Namen angerichtet hat, sondern an seinen Grundlagen, nicht zuletzt an der Offenbarung selbst. Da kann es kein Skandal sein, auch den Islam einer solchen Kritik zu unterziehen, denn darin ist Hannah Arendt rechtzugeben: Ein Charakteristikum der Moderne liegt in der Bereitschaft, Religionskritik zu üben und für legitim zu erachten (vgl. mein Buch Zwischen Religion und Politik, S. 67). In dieser Hinsicht waren die beiden Tagungen in Bad Honnef und Hamburg wirklich ein Genuss und da kann man nur sagen: Bitte mehr davon!

Hier geht’s zu den Pressemitteilungen:

http://www.ev-akademie-rheinland.de/Pressemitteilung-Solidargemeinschaft-Muslime-401.php

http://www.kas.de/hamburg/de/publications/48752/

 

Islamismus und Islam

Ein Historiker beklagt sich im “National Interest” über die einseitigen Wahrnehmungen des Islam im Weissen Haus. Während die Trump-Regierung ein generelles Misstrauen gegenüber dem Islam hegt, habe Obama das krasse Gegenteil geglaubt:

In 2011, for example, Tibi’s very important Islamism and Islam was published by Yale University Press, but it received scant attention in the general-interest reviews, in public discussion, or within the Obama administration. Yet whether Obama knew better or whether he was so much a product of the politically correct academy that he actually thought that the Islamic State had nothing to do with Islam …

Der Autor, Jeffrey Herf, bezieht sich in seinem Artikel mehrfach zustimmend auf Bassam Tibis “Islamism and Islam”, das von der amerikanischen Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen worden sei. Da mag er recht haben. Allerdings scheint er selbst das Buch nicht gelesen zu haben. Tibi selbst sagt nämlich explizit, dass Islamismus nicht Islam sei, so der Titel eines seiner Kapitel („Why Islamism is not Islam‟)! Darin heisst es:

In the case of Islamism, the religionization of politics means the promotion of a political order that is believed to emanate from the will of Allah and is not based on popular sovereignty. Islam itself does not do this. As a faith, cult, and ethical framework, it implies certain political values but does not presuppose a particular order of government.

Ähnlich hat er auch in anderen seiner Bücher argumentiert (z.B. in “Islam’s Predicament”). Ob man dem zustimmt oder nicht – Obama lag hier ganz auf einer Linie mit Tibi.

Gottesbilder

Ein interessanter Beitrag von Ufuk Özbe widmet sich der Frage, inwieweit die Evolutionstheorie mit dem Glauben an Gott vereinbar ist. Der Artikel enthält viel richtiges und plausibles, aber das zentrale Argument, eine Kontingenz der Evolution mache die Annahme eines Schöpfergottes wenig plausibel, überzeugt nicht – und zwar unabhängig davon, ob man selbst an Gott glaubt oder nicht.

Wie man Scharia-Regeln los wird

Wie man Scharia-Regeln los wird? Das ist manchmal ganz leicht, da die Scharia im Islam immer aufs Neue gedeutet werden kann und hierzu einen grossen Spielraum bietet. Beispiele nennt ein lesenswerter Beitrag auf dem Blog “Lesewerk Arabisch und Islam.”

Die Spitzfindigkeit, vermeintlich eindeutige Vorschriften der Scharia zu umgehen, hat ein eigenes islamisches Rechtsgenre hervorgebracht, die sog. maḫāriǧ bzw. ḥiyal, also “Rechtskniffe”. Die sind in der Tat sehr trickreich, wie man das am Kitāb al-ḥiial fil-fiqh (Buch der Rechtskniffe) des Maḥmūd ibn al-Ḥasan abū Ḥātim al-Qazuīnī sehen kann, das Joseph Schach 1924 ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen hat.

Islamapologeten nehmen die Flexibilität der Scharia gerne als Beweis dafür, dass man alles und nichts in sie hineininterpretieren und sie deshalb auch einer gesellschaftlichen Modernisierung nicht im Wege stehen könne. Der Islamwissenschaftler Michael Cook hat aber darauf hingewiesen, dass die Flexibilität der Scharia und die Findigkeit der muslimischen Juristen, wenn es um ihre Interpretation geht, auch ein ganz grundsätzliches Problem darstellen können.

Diese nämlich müssen auch als Ausdruck der Tatsache gewertet werde, dass die Juristen das Monopol der Scharia nie anzutasten wagten. (Mehr dazu in meinem Buch ZWISCHEN RELIGION UND POLITIK, wo ich diese Problematik im Exkurs “Die Freude am Widerspruch” erörtere, der sich kritisch mit den Thesen des Arabisten Thomas Bauer auseinandersetzt).

Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum lateinischen Europa, wo das Christentum das Rechtswesen nie zu monopolisieren versucht, sondern mit dem römischen Recht koexistiert hat. Eine solche Koexistenz mit dem Islam war nicht möglich, weil das islamische Recht, die Scharia, einen „überwölbenden moralischen Apparat‟ und ein „hegemonisches moralisches System‟ (W. Hallaq) bildet. Während die grossen römischen Juristen eigene Grundlagentexte erstellt haben, waren die grossen muslimischen Juristen wesentlich Exegeten, weswegen es nie einen muslimischen Justinian gegeben hat.

Die Flexibilität und Findigkeit muslimischer Juristen sollte man also nicht nur positiv sehen, ist doch das unhinterfragte Rechtsmonopol der Scharia der Hauptgrund für den Mangel an säkularen, rechtsstaatlichen Strukturen in der Islamischen Welt. Natürlich hat es Versuche autoritärer Modernisierer gegeben, der Gesellschaft weltliche Gesetze aufzuoktroyieren, doch standen diese immer unter dem Rechtfertigungsdruck der Scharia, weswegen sie irgendwann wieder abgeschafft oder abgeschwächt wurden.

So wurde in der Türkei mit der Ausrufung der türkischen Republik 1923 zunächst das Sultanat, im Jahr darauf auch das Kalifat abgeschafft und kam es zu einer Säkularisierung des Bildungswesens. Seit 1928 ist der Islam nicht länger Staatsreligion, 1937 wurde der Laizismus in der Verfassung verankert. Die Säkularisierungspolitik wurde aber seit den 1950ern jedoch allmählich wieder aufgeweicht und 1961 der Islam faktisch wieder zur Staatsreligion unter Aufsicht des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Reisliği).

Ähnlich in Ägypten: Nachdem im 19. Jahrhundert französisches Recht in das ägyptische Rechtswesen eingedrungen und es ab 1875 zu gemischten Gerichtshöfe gekommen war, die für die Scharia in Personenstands- und Erbrechtsfragen sowie für den Code Napoléon in den übrigen Rechtsangelegenheiten zuständig waren, wurden jene 1956 ganz abgeschafft und das Rechtswesen 1979 durch ein entsprechendes Familiengesetz weiter säkularisiert. Der Säkularisierungsprozess kam jedoch bereits im Folgejahr zum Erliegen, als die Scharia zur Hauptquelle der Rechtsprechung erhoben und einige Jahre später das Familiengesetz entsprechend angepasst wurde.

So mag man einzelne Scharia-Regeln loswerden – aber nicht die Scharia.


Anm. 27.10.16

Kollege M.R. weist mich darauf hin, dass hier eine Erwähnung des Juristen ‘Abd al-Razzāq al-Sanhūrī (1895-1971) nicht fehlen darf, der als Vater des ägyptischen Zivilrechts von 1948 gilt. Dieses Recht war dazu gedacht, islamische Rechtsgrundsätze zu verwirklichen.

Why Qāsim Amīn was against the niqāb

Qāsim Amīn (1863-1908), author of a famous 1899 treatise on the „liberation of the woman‟ (tahrīr al-marʾa) argues that the issue of seduction which is so prevalent in the Islamic culture doesn’t emanate from the woman’s body but from the way she walks. Against this backdrop, Amīn reaches the astonishing conclusion that both the niqāb and the burqaʿ rather than suppressing the woman’s seduction they are conveying it!

In his mind, they are the strongest agents of a woman to evoke desire precisely because niqāb and burqaʿ hide a woman’s identity. Only if her face was visible it would become clear to which family she belongs so that she will be careful not to do harm to her reputation.[note]Qāsim Amīn: taḥrīr al-marʾa. [Cairo 1899] Damascus 2007, p. 78.[/note]

What sounds like an orientalist fantasy is in fact written by the most popular and most influential advocate of the woman’s liberation in the Arab World of the modern era.


 

Ambiguitätstoleranz

Eine Anmerkung zur “Ambiguitätstoleranz”, dem neuen Modewort in den deutschsprachigen Islamwissenschaften:

„To be sure, Islamic law was not enforced everywhere, every time; as in many other legal system, expediency, necessity, favoritism, bribery, inefficiency, politics, and other factors could alter an outcome. But the plain fact is that Islamic law in medieval Spain imposed humiliating conditions on Christian dhimmis to ensure that absolute power remained in the proper hands.‟[note]Darío Fernández-Morera: The Myth of the Andalusian Paradise. Muslims, Christians, and Jews under Islamic Rule in Medieval Spain. Wilmington/ Delaware 2016, S. 209.[/note]

Das hat über Jahrhunderte funktioniert.


 

Der Mythos vom andalusischen Paradies

Manche Mythen sterben nie, so der vom andalusischen Paradies unter islamischer Herrschaft. Die Spanier aber waren nicht nur Eroberte, sondern in Südamerika auch Eroberer, was heutzutage noch immer ganz unterschiedlich bewertet wird.

Denn heute würde, schreibt Darío Fernández-Morera,[note]Darío Fernández-Morera: The Myth of the Andalusian Paradise: Muslims, Christians, and Jews Under Islamic Rule in Medieval Spain. Wilmington 2016, S. 238.[/note] kaum ein Wissenschaftler behaupten, dass die christlichen Europäer Südamerika oder die Briten Indien erleuchtet hätten, aber im Falle Spaniens wird noch immer so getan, als sei die muslimische Eroberung der Beginn eines beispiellosen kulturellen Aufschwunges gewesen.


 

 

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